Gabriel sieht SPD in »katastrophalem Zustand«

Künftiger Parteichef kritisiert seine Vorgänger scharf und erhält Beifall von der Basis

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Nach der schweren Wahlschlappe seiner Partei hat der designierte SPD-Chef Sigmar Gabriel den Führungsstil seiner Vorgänger kritisiert und mehr innerparteiliche Mitsprache verlangt.

Berlin (dpa/ND). Die SPD befindet sich nach Einschätzung des künftigen Parteichefs Sigmar Gabriel in »einem katastrophalen Zustand«. In einem Schreiben an Parteimitglieder sagte er den Sozialdemokraten eine lange Durststrecke voraus und rechnete mit dem Führungsstil seiner Vorgänger ab. In ersten Reaktionen erhielt der bisherige Bundesumweltminister Unterstützung von der Parteibasis.

Nach Gabriels Ansicht wird die SPD lange brauchen, um sich von dem Debakel bei der Bundestagswahl zu erholen. Notwendig sei jetzt eine grundlegende Reform der ganzen Partei. »Die Früchte unserer Arbeit – wenn sie denn gelingt – wird wohl eher die nach uns kommende Generation von Sozialdemokraten ernten«, zeigte sich der 50-Jährige in dem von der Online-Ausgabe der »Süddeutschen Zeitung« veröffentlichten Schreiben an SPD-Mitglieder pessimistisch.

Ohne Namen zu nennen, ging Gabriel auch mit dem Kurs seiner Vorgänger scharf ins Gericht. Die SPD sei zu einer Partei geworden, »in der die Mitglieder meist zu Förder-Mitgliedern degradiert wurden: ohne jeden wirklichen Einfluss von unten nach oben«. Die Aufgabe von Politik sei aber, zu führen und zu sammeln.

»In den letzten Jahren haben wir nur geführt, nie gesammelt«, kritisierte er. Gabriel sprach sich für Urabstimmungen der Mitglieder bei wichtigen Entscheidungen aus. Beim Bundesparteitag Mitte November in Dresden müsse darüber diskutiert werden, wie die Ortsvereine und Kreisverbände stärker an der Willensbildung in der SPD beteiligt werden könnten. Der Zustand vieler Unterbezirke habe schon lange nichts mehr mit einer Volks- und Mitgliederpartei zu tun. Gabriel forderte weiter eine ehrliche Aufarbeitung der letzten elf Regierungsjahre. Die Serie der verheerenden Niederlagen bei Landtagswahlen habe schon vor der Agenda-Politik des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder begonnen. Die Rente mit 67 und die Erhöhung der Mehrwertsteuer durch die große Koalition habe aber die Glaubwürdigkeit der SPD tief erschüttert. Der Streit um die Reform-Agenda 2010 habe wie ein Treibsatz gewirkt und für das Entstehen der Linkspartei gesorgt.

Weiter warnte Gabriel vor einer Fortsetzung des ständigen Flügelstreits. »Wenn wir die SPD nicht endgültig zerstören wollen als Volkspartei, dann muss damit endlich Schluss sein«, betonte er: »Die Wahrheit ist doch, dass die SPD sich in den letzten Jahren tief gespalten hat in Flügel.«

SPD-Landespolitiker begrüßten Gabriels Generalkritik. Die SPD müsse wieder stärker zu einer Beteiligungspartei der Mitglieder werden, sagte der sächsische Fraktionschef Martin Dulig. »Die SPD kann nur erfolgreich sein, wenn die wichtigen Entscheidungen auch von den Mitgliedern getragen werden«, sagte der Vorsitzende des Ortsvereins Fulda-Südwest, Rainer Götz. Auch die SPD Niedersachsen sieht Versäumnisse bei der Mitsprache der Basis.

Am Donnerstag stimmte die SPD-Bundestagsfraktion über ihren Kandidaten für das Amt des stellvertretenden Bundestags-Präsidenten ab. Dabei setzte sich Wolfgang Thierse mit 84 Stimmen gegen Susanne Kastner (44 Stimmen) durch. Beide gehörten bislang als Vize-Präsidenten der Parlamentsspitze an. Wegen ihres schlechten Ergebnisses bei der jüngsten Bundestagswahl steht der SPD dort nur noch ein Platz zu. Das Bundestagspräsidium wird am kommenden Dienstag gewählt.

Am Donnerstag wurde zudem bekannt, dass die hessische SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti beim SPD-Bundesparteitag in Dresden nicht mehr für den Parteivorstand kandidieren wird.

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