Verwahrlosung und Schaltkreise

Die Werkleitz-Biennale zeigt in Halle vor allem Videokunst

  • Lesedauer: 3 Min.
Tom Mustroph, Halle

Das ehemaligen Kaufhaus Intecta in Halle, Hauptausstellungsort der Werkleitz-Biennale, begeistert – die gezeigte Medienkunst nicht so sehr.

Die Ausstellung »Move« will Halle in Bewegung bringen. Sie präsentiert noch bis zum 25. Oktober bewegte Bilder, die im Rahmen des Stipendiatenprogramms des Medienkunstnetzwerks EMARE entstanden sind. Und sie fordert die Besucher zur Bewegung auf. Weil die Ausstellung auf neun verschiedene Orte verteilt ist, wird man zu einem längeren, wahlweise von Audioguides begleiteten Gang durch die Innenstadt animiert. Im Hauptausstellungsort, dem ehemaligen Kaufhaus Intecta, kann man auf einer großen Schaukel wilde Schwünge durch die Luft vollführen und die dort platzierten Bildschirme an sich vorbeifliegen lassen.

Inszenatorisch ist diese Ausgabe der Werkleitz-Biennale ein Knüller. Denn das Intecta-Kaufhaus rückt die Motive von Verfall und Untergang, aber auch plötzlichen und unerwarteten Freiräumen, die die ersten Jahre nach dem Mauerfall prägten, wieder ins Bewusstsein. Das Innere des 1901 errichteten Baus ist ausgeweidet. Verblichene Farbfetzen geben den Wänden die Anmutung einer Camouflage der Verwahrlosung. Die Trägerkonstruktion für die oberen Etagen ist auf ein Skelett reduziert. In diesem einerseits räudigen, andererseits auf die reine Funktion zurückgeführten und damit geadelten Gemäuer blinken nun die zahlreichen Monitore von »Move«. Der Kontrast ist gewaltig.

Leider kann sich das, was in den Schaltkreisen oszilliert, nur selten mit dem spektakulären Ambiente messen. Zu versonnen, selbstbezüglich und verspielt sind die meisten Arbeiten. Man wird in elegische Stimmung versetzt, wenn man in Dagmar Kellers und Martin Wittwers Doppelprojektion »Den Tag erkennst du schon an seinem Morgen« die Sonne in einem Sofioter Neubauviertel aufgehen sieht. Die Verluste, die die Globalisierung mit sich bringt, und die komischen Wege, die sie dabei einschlägt, illustriert die serbische Künstlerin Katarina Zdjelar in »The Perfect Sound«. Ein Mann vollführt groteske Bewegungen von Zunge und Lippen. Es ploppt, schnalzt und stöhnt. Unter Anleitung eines Phonetiklehrers lernt er die perfekte, alle Spuren auf Herkunft tilgende Betonung der englischen Sprache.

Gestöhnt wird auch bei Ran Huang. Der jetzt in London lebende Chinese legt die Tonspur von Pornofilmen auf eine Box-Choreografie und kreiert damit eine Art von Männlichkeit, von der sich die Besucher elitärer Medienkunstausstellungen wohlig distanzieren können.

Ästhetischer Mehrwert ist eher in den kleineren Ausstellungsräumen zu finden. In der Galerie Dieschönestadt erproben Paolo Cirio und Shui Lea Cheang neue Erzählformen. Cirio breitet in »The Big Plot« multiperspektivisch eine Weltverschwörung aus. Shui Lea Cheang hingegen geht in Sofia der Geschichte bulgarischer Virenprogrammierer nach.

Insgesamt fällt auf, dass mit dieser Ausstellung Medienkunst vor allem als Videokunst propagiert wird. Dies ist eine bedauerliche Einschränkung. Die Werkleitz-Gesellschaft, die vor 16 Jahren als die Kunst und die Welt verbessern wollende Initiative gestartet war, ist mit dieser zudem noch fremd kuratierten Ausstellung in relativ banale Fahrwasser geraten. Der schöne Coup mit dem Intecta-Kaufhaus lässt die ansonsten waltende Ideenlosigkeit nur umso krasser zutage treten. Zu diesem Bild passt, dass bei einigen der kleineren Austellungsräumen die Öffnungszeiten individuell verkürzt wurden – ganz so, als sei es den Veranstaltern egal, ob sich jemand noch für ihr Programm interessiere. Dass Medienkunst auch eine dialogische Komponente haben kann, wird glattweg unterschlagen.

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