Waterloo für Ankaras Generäle

Türkische Armee nach neuen Enthüllungen über Putschpläne in Erklärungsnot

  • Lesedauer: 3 Min.
Jan Keetman, Istanbul

Das türkische Militär macht erneut eine schwere Krise durch. Generalstabschef Ilker Basbug steht im Verdacht, einen Aktionsplan des Militärs zur psychologischen Kriegführung gegen die gemäßigt islamische Regierung unter Recep Tayyip Erdogan vertuscht zu haben.

Im Juni hatte die Zeitung »Taraf« über den Aktionsplan berichtet. Er enthielt eine pessimistische Lageeinschätzung angesichts der mangelnden Unterstützung des Militärs durch Medien und gesellschaftliche Gruppen und sah weiter die Gefahr einer schleichenden Islamisierung des Staates. Dem Militär wurde empfohlen, mögliche Spannungen in Erdogans AK-Partei auszunutzen. Man solle zugleich den Verdacht erregen, eine religiöse Bewegung, die von dem pensionierten Prediger an der Blauen Moschee in Istanbul, Fethullah Gülen, geleitet wird, sei zur Anwendung bewaffneter Gewalt bereit. Auch zu Provokationen der religiösen Minderheit der Alewiten rät das Papier. Das alles liest sich wie ein Drehbuch, in dem zum Schluss die Militärs mit ihren Panzern vor das Parlament fahren, um die Nation zu retten.

Eine Kopie des Plans wurde bei einer Hausdurchsuchung gefunden und gelangte dann an die Zeitung. Generalstabschef Ilker Basbug leitete sofort eine Untersuchung ein, die zu dem Ergebnis kam, dass dieser Plan nicht von den Streitkräften stammte. Die Kopie bezeichnete Basbug als »ein Stück Papier«. Das Gegenteil ließ sich nicht beweisen.

Bis vor zwei Wochen. Da erreichte der anonyme Brief eines Offiziers die Staatsanwaltschaft und mit etwas Verzögerung die Medien. Darin wird behauptet, Basbug habe von der Veröffentlichung des Plans in den frühen Morgenstunden vor Erscheinen der Zeitung erfahren und angewiesen, alle Spuren zu beseitigen. Der Brief enthielt eine Liste mit Namen von Offizieren, die damit beauftragt waren, und die Aufstellung der Computer, deren Festplatten manipuliert wurden. Als Anlage enthielt er weitere geheime Unterlagen, darunter das Original des besagten Plans, versehen mit einer echten Unterschrift. Es gibt Versuche der Opposition, die Echtheit auch dieses Dokuments in Zweifel zu ziehen, doch bisher hat sich der Generalstab zu keinem neuerlichen Dementi aufgerafft.

Seit ihrer Niederlage im Ersten Weltkrieg hat die Armeeführung keine so schweren Zeiten erlebt wie in den letzten Jahren – und das nicht im Kampf gegen die PKK, sondern an der Heimatfront. Zunächst tauchten Putschpläne unter den schillernden Namen »Blondine«, »Mondlicht« und »Meeresleuchten« auf. Dahinter sollen hohe Kommandeure gestanden haben, denen aber die Zustimmung des damaligen Generalstabschefs Hilmi Özkök fehlte. Die Zeitschrift »Nokta«, die über die Vorhaben berichtete, musste im Frühjahr 2007 ihr Erscheinen auf Druck des Militärs einstellen. Pensionierte Generäle verfolgten aber weiter ähnliche Pläne. Das jedenfalls behauptet die Anklage in einem Mammut-Prozess gegen die »Ergenekon« genannte Verschwörergruppe.

Der Nachfolger des liberalen Hilmi Özkök, Yasar Büyükanit, versuchte es gar mit einer Art »Internetputsch«. Zu mitternächtlicher Stunde platzierte er auf der Webseite des Generalstabs eine harsche Warnung, mit der er die Wahl von Erdogans Vertrautem Abdullah Gül zum Staatspräsidenten verhindern wollte. Doch als die AK-Partei im Juli 2007 einen hohen Wahlsieg einfuhr, war auch das hinfällig.

Der zuletzt aufgetauchte Aktionsplan wurde zwei Monate nach der Wahl abgeschlossen. Er zeigt, dass sich die Generäle mit ihrer Niederlage keineswegs abgefunden hatten. Es gibt bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass auch unter Büyükanits Nachfolger Ilker Basbug an der Umsetzung des Plans gearbeitet wurde. Vernichtet wurde er aber erst, als die Presse davon Wind bekam. Ein neues politisches Waterloo für die einst so mächtigen Generäle.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal