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Strafantrag: Deutsche Minister hinter Gitter?
Anwaltskollektiv will Ex-Außenministerin und Ex-Kanzler Olaf Scholz wegen Gaza-Krieg in den Knast bringen
Annalena Baerbock, ehemalige deutsche Außenministerin, kommt in ihrer neuen New Yorker Heimat in Bedrängnis: Journalist*innen fragen nach ihrer Aussage vom letzten Jahr im Bundestag, wonach Krankenhäuser legitime Kriegsziele sein könnten. In anderen Teilen der Welt gilt die Verteidigung von Kriegsverbrechen als Eklat – in Deutschland gehört das zur Staatsräson.
Ein Kollektiv von deutschen Anwält*innen möchte das ändern. Auf einer Pressekonferenz am Freitag stellten Benjamin Düsberg und Nadija Samour einen 110-seitigen Strafantrag vor, der an den Generalbundesanwalt Jens Rommel adressiert ist. Darin wird sieben Minister*innen – neben Baerbock auch dem ehemalige Kanzler Olaf Scholz (SPD) und dem aktuellen Kanzler Friedrich Merz (CDU) – Beihilfe zum Völkermord vorgeworfen. Ebenfalls genannt sind vier Manager*innen von deutschen Rüstungsunternehmen, die Israels Genozid in Gaza unterstützen.
Der Strafantrag erscheint nur drei Tage nach dem Bericht des UN-Menschenrechtsrats über den Genozid – ein Zufall aber auch »gutes Timing«, so die Anwält*innen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty und B’Tselem waren bereits zur gleichen Schlussfolgerung gekommen.
»Wenn Deutschland ein Rechtsstaat ist, müssen Ermittlungen jetzt aufgenommen werden« sagte Düsberg. »Das ist juristisch glasklar.« Die UN-Genozidkonvention verlangt sofortiges Einschritten, um einen Genozid zu verhindern.
Systemfehler
Jedoch ist es ein offensichtlicher »Systemfehler«, dass der zuständige Generalbundesanwalt Weisungen des Justizministeriums unterliegt – wie soll er in diesem Fall gegen die eigenen Vorgesetzten ermitteln? Düsberg führt aus, es wäre schon ein »indirekter Erfolg«, wenn deutsche Politiker*innen sich Sorgen machten über allzu offene Unterstützung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Eine Strafanzeige aus den gleichen Kreisen hatte der Generalbundesanwalt letztes Jahr mit der knappen Begründung verworfen, es ließe sich keinen direkten Zusammenhang zwischen den deutschen Waffenlieferungen und den israelischen Verbrechen herstellen. Düsberg widerspricht: Es sei gar nicht Voraussetzung, dass eine bestimme deutsche Patrone im Kopf eines bestimmten palästinensischen Kinds nachgewiesen wird. Jegliche Unterstützung für Genozid müsse laut Gesetz verfolgt werden.
Die ausführliche Strafanzeige führt dennoch genau auf, wie deutsche Exporte die israelische Kriegsführung ermöglichen. Die Bundesregierung sagt, es würden vor allem »sonstige Rüstungsgüter« geliefert – aber dazu gehören Ersatzteile für die Merkava-Panzer, die in Gaza eingesetzt werden. »Sonstig« klingt nach Schutzausrüstung und Sanitätsmaterial, aber in Wirklichkeit sind deutsche Produkte für die Waffensysteme unverzichtbar.
Die Mandant*innen beim Strafantrag sind zwei in Deutschland lebende Ärzte, die Angehörige in Gaza verloren haben.
Sollten deutsche Staatsanwält*innen und Gerichte weiterhin das Völkerrecht missachten, können internationale Gerichte eingeschaltet werden. Aber die Jurist*innen sehen sich nur als einen Teil der Solidaritätsbewegung mit Palästina. Anwältin Samour verweist auf die vielen Demonstrationen, Protestcamps und Petitionen: »Als Anwälte wollen wir dafür sorgen, dass diese Forderungen in die Gerichte kommen.« In Umfragen lehnen 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung die deutschen Waffenlieferungen für Israel ab.
Hoffnungen
Dass ein Staat seine eigenen Verbrechen ahndet, kommt eher selten vor – zumindest ohne eine vorherige Revolution. Die USA haben mit den Nürnberger Prozessen das moderne Völkerrecht etabliert – aber die US-Generäle für ihre Verbrechen in Vietnam nie verklagt. In der Bundesrepublik sind die meisten Täter*innen des Holocausts straffrei davon gekommen – bis auf ein paar 95-jährige, denen in den letzten Jahren der Protest gemacht wurde.
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Düsberg verweist aber auf integre Figuren wie Fritz Bauer – ein jüdischer Staatsanwalt, der in den 1960er Jahren die Frankfurter Auschwitz-Prozesse führte. Durch seine Hartnäckigkeit kamen einige Nazi-Täter doch noch hinter Gitter. Die Frage ist jetzt, ob Rommel ein solches Rückgrat hat.
Deutsche Regierungen verweisen auf den Holocaust, um ihre Unterstützung für Israel zu rechtfertigen. »Die Lehren des Holocausts werden pervertiert«, so Düsberg auf der Pressekonferenz. »Entweder sind diese Lehren universalistisch, oder sie gelten gar nicht.« Eine selektive Anwendung des Völkerrechts, mit unterschiedlichen Maßstäben für Freund*innen und Feind*innen, kommt der Abschaffung des Völkerrechts gleich.
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