»Elbit Systems ermöglicht den Genozid in Gaza«

Jackie Andres zur Politik des israelischen Rüstungskonzerns, zur Kampagne »Shut Elbit Down Deutschland« und zu Vorwürfen gegen diese

  • Interview: Matthias Monroy
  • Lesedauer: 6 Min.
Auch bei der zu Elbit gehörenden Rüstungsfirma Ferranti in Italien wurde dieses Jahr schon radikal protestiert.
Auch bei der zu Elbit gehörenden Rüstungsfirma Ferranti in Italien wurde dieses Jahr schon radikal protestiert.

Diese Woche wird wieder vor Elbit Systems in Ulm protestiert. Warum?

Weil Elbit Systems zu den Hauptproduzenten für das israelische Militär gehört. Rund 80 Prozent der dort eingesetzten Drohnen stammen von ihnen, ebenso ein großer Teil der Artillerie, elektronischen Kriegsführung und Munition. Elbit Systems ermöglicht so den Genozid in Gaza.

Wo gibt es Standorte in Deutschland?

Es gibt zwei Produktionsstandorte in Ulm, dort ist auch die Zentrale in Deutschland. Außerdem gibt es Büros in Berlin und Koblenz. Seit August existiert eine weitere Niederlassung in Norddeutschland, mutmaßlich Wilhelmshaven, wo Elbit Aufträge im maritimen Bereich ausbauen will.

Ist bekannt, wo Elbit-Produkte eingesetzt werden?

Der Hauptabsatz erfolgt in Israel, den USA sowie Europa, dort profitiert Elbit zudem von der Aufrüstungswelle infolge des Ukraine-Krieges. Grenzüberwachungssysteme der Firma stehen in den USA, insbesondere an der Grenze zu Mexiko. Ihre Drohnen wurden unter anderem von der Luftwaffe Aserbaidschans, Marokkos und Indiens eingesetzt, dort auch in Kaschmir.

Mit wem kooperiert Elbit Systems international?

Es ist eine Strategie vieler Rüstungsunternehmen – und auch von Elbit Systems – mit großen Konzernen anderer Länder zusammenzuarbeiten, um leichter an Aufträge und Absatzmärkte zu gelangen. In Deutschland betrifft das unter anderem Airbus und Diehl, etwa im Bereich von lasergestützten Schutzsystemen für Militärflugzeuge, sowie Rheinmetall bei automatisierten Radhaubitzen. In Italien arbeitet Elbit mit Leonardo zusammen, in Frankreich mit Thales, in Schweden mit Saab und in Großbritannien mit BAE Systems. Elbit kauft auch Unternehmen auf, um deren Know-how und Marktposition zu übernehmen.

In Großbritannien wurden Standorte dicht gemacht. Was ist da passiert?

Vier Niederlassungen von Elbit Systems, in Oldham, London, Tamworth und Bristol, mussten nach intensiver Kampagnenarbeit und wiederholten Blockaden schließen. Daran beteiligt waren u.a. das britische Netzwerk Palestine Action, lokale Friedensgruppen und zum Beispiel in Oldham auch die kaschmirische Community. Immer wieder kam es auch zu Sabotageaktionen.

Ist Palestine Action nun auch in Deutschland aktiv? Aktivist*innen trugen diesen Namen bei einer Sabotageaktion vergangene Woche in Ulm. Fünf von ihnen wurden festgenommen.

Es gibt Menschen, die unter dem Namen »Palestine Action Germany« auftreten. Sie bezeichnen sich als autonome Bewegung und Netzwerk von Aktivist*innen, die sich mit direkten Aktionen gegen Kolonialismus und Imperialismus einsetzen. Offenbar haben sie den Namen bewusst übernommen, um an die britische Bewegung anzuknüpfen.

Interview

Jackie Andres macht bei der der Kampagne »Shut Elbit Down Deutschland« mit. Sie engagiert sich auch bei der Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI) in Tübingen.

Solche direkten Aktionen sind eher neu in Deutschland, ich kenne das aus Italien oder USA ...

Mir ist kein anderes Beispiel in Deutschland bekannt, wo Aktivist*innen gezielt in Rüstungsunternehmen eindringen, Schäden verursachen und sich anschließend ohne Widerstand festnehmen lassen. Das ist hierzulande vermutlich inspiriert durch Palestine Action UK.

Gibt es Solidaritätsstrukturen für die fünf Festgenommenen, die offenbar immer noch in Untersuchungshaft sitzen?

Wir selbst sind nicht Teil von Palestine Action Germany und haben daher keinen direkten Einblick. Wir stehen aber in ausdrücklicher Solidarität mit den Betroffenen und versuchen, Aufmerksamkeit und politischen Rückhalt zu organisieren. Es gibt Solidaritätsaufrufe und Spendenkampagnen, um die Betroffenen nach Festnahmen zu unterstützen. Zudem hat es bereits Vernetzungsgespräche mit Gruppen gegeben, die Antirepressionsarbeit leisten. Wir gehen davon aus, dass sich im Laufe der Zeit stabilere Strukturen entwickeln, wie wir sie aus anderen Bewegungen kennen.

Es gab auch Proteste gegen Elbit Systems in anderen Ländern. Was macht das mit den Bilanzen des Konzerns?

Proteste gab es außer in Großbritannien in Schweden, der Schweiz, Österreich, Japan, Brasilien, Australien und den USA. In Japan konnte dadurch Kooperation mit dem Handelsgiganten Itochu beendet werden. In Großbritannien verloren sie Aufträge, zwei Regierungsprojekte gingen nicht an Elbit. Offiziell wird das nicht auf die Proteste zurückgeführt, doch interne Quartalsberichte verweisen immer wieder auf den »negativen Einfluss anhaltender Proteste weltweit«. Das zeigt, dass der Druck auch ökonomische Folgen hat – auch wenn Elbit Systems das öffentlich nicht einräumt.

Seit wann gibt es die deutsche Kampagne »Shut Elbit Down«?

Unsere Kampagne entstand im Dezember 2023 aus einem globalen Aktionstag gegen Elbit. Zunächst war es eine spontane Demonstration, aus der sich eine kontinuierliche Struktur entwickelte, getragen von einem wachsenden Kreis an Unterstützer*innen. Wir protestieren regelmäßig werktags vor dem Standort in Ulm und organisierten monatliche Demos. Im vergangenen April gab es ein Camp mit Blockadeaktionen, eine weitere folgte im August.

Wie reagiert die Belegschaft von Elbit Systems auf eure Proteste und Aktionen?

Es gibt kaum Kontakt. Meist werden Jalousien heruntergelassen oder wir werden gefilmt. Ein Mitarbeiter sagte in einem Gerichtsverfahren aus, dass er beauftragt sei, unsere Aktionen zu dokumentieren und die Aufnahmen an die Firmenleitung weiterzugeben.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Was war das für ein Verfahren?

Ein Mitstreiter hatte Sprühkreide auf den Boden aufgetragen. Es wurde gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt.

Ihr schreibt, die Zelte auf dem Camp sollten auch auf Gaza hinweisen. Wie ist das gemeint?

Weil Elbit Systems Mitverantwortung dafür trägt, dass flüchtende Menschen in Gaza in Zelte gezwungen werden. Unsere Camp vor Elbit ist auch ein Symbol dafür.

Wie reagiert die Stadt Ulm darauf?

Die Bevölkerung zeigt teils Unterstützung. So wurden etwa von einer Wohnung direkt gegenüber von Elbit Systems Banner gegen den Konzern und gegen den Genozid in Gaza aufgehängt. Immer wieder sprechen uns Passant*innen bei unseren Aktionen an. Gleichzeitig gibt es natürlich auch Gleichgültigkeit oder Ablehnung, aber insgesamt merken wir, dass die Proteste wahrgenommen werden und wir auf Interesse stoßen. Kritik kam von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Verwaltung und Polizei versuchen natürlich weiterhin, uns einzuschränken. So sollten wir etwa nur zwei symbolische Zelte aufstellen dürfen. Mit juristischer Hilfe konnten wir jedoch durchsetzen, dass alle 150 angemeldeten Zelte bleiben können.

Welche Kritik kam von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft?

Sie bezeichnete uns als antisemitisch, weil wir auch einmal am 27. Januar – dem Holocaust-Gedenktag – protestierten. Wir hatten den Termin aus pragmatischen Gründen gewählt und erst danach bemerkt, welches Datum es war. Wir fanden es dann allerdings sehr passend, unseren Protest gegen den laufenden Völkermord in Gaza mit der Erinnerung an den Holocaust zu verbinden, etwa weil das von Elbit in Ulm aufgekaufte Unternehmen Telefunken eine wichtige Rolle im Nationalsozialismus spielte.

Wie begegnet ihr dem Vorwurf, boykottartige Proteste, wie ihr sie organisiert, seien antisemitisch?

Bisher wurde dieser Vorwurf kaum direkt an uns herangetragen. Wir sehen es als unsere menschliche Pflicht an, den Rufen aus Gaza nach praktischer Solidarität und nach Aktionen gegen die Rüstungsindustrie, die das dort tödliche Kriegsgerät herstellt, Folge zu leisten. Wir sind auch solidarisch mit der palästina-solidarischen Kampagne »Boykott–Divestment–Sanctions« (BDS). Die verweist auf das Beispiel auf Südafrika: Die Boykottkampagne gegen Apartheid richtete sich damals gegen ein diskriminierendes Regime, nicht gegen eine Religion. So geht es auch hier nicht um Jüdinnen und Juden, sondern um die israelische Regierung, ihre völkerrechtswidrige Besatzungspolitik und die Diskriminierung von Palästinenser*innen. Auch jüdisch-israelische Gruppen bitten, sich BDS anzuschließen, weil Druck von außen notwendig sei.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.