Tatort Kirchenheim

Runder Tisch zu Kindesmisshandlungen tagt

  • Bettina Markmeyer, epd
  • Lesedauer: 2 Min.
In der Bundesrepublik sind von den 50er bis in die 70er Jahre hinein zahlreiche Kinder und Jugendliche in Heimen misshandelt worden. Kirchliche Wohlfahrtsverbände und Orden führten drei Viertel der Heime.

Berlin. Wenn an diesem Donnerstag in Berlin der »Runde Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren« zu seiner fünften Sitzung zusammenkommt, soll es um die Verantwortung der Kirchen für eines der dunkelsten Kapitel in der frühen Bundesrepublik gehen. Zahlreiche Kinder und Jugendliche sind von den 50er bis in die 70er Jahre hinein in Heimen misshandelt worden. Viele ehemalige Heimkinder haben ihre Leidensgeschichte inzwischen öffentlich gemacht. Gefühlskälte, Arbeitszwang, Prügel und Demütigungen bis hin zu sexuellen Übergriffen in ihrer Kindheit und Jugend haben sie fürs Leben gezeichnet.

Kirchliche Wohlfahrtsverbände und Orden führten drei Viertel der Heime und stellten zwei Drittel aller Heimplätze in der frühen Bundesrepublik. Waren grausame Methoden die Regel oder die Ausnahme? Wie viele Kinder und Jugendliche sind misshandelt worden, wie viele haben Anspruch auf eine Entschädigung?

Voraussichtlich wird es keine eindeutigen Antworten geben. »Wir wissen einfach nicht, wie viele Fälle es gab«, sagt Johannes Stücker-Brüning von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hatte im Juni erklärt, »dass die Zahl der schlimmen und fragwürdigen Fälle im katholischen Umfeld eher gering ist und sich im unteren dreistelligen Bereich befindet«. Nach empörten Reaktionen von Heimkinder-Vertretern musste die Bischofskonferenz dies relativieren: Es handele sich nur um die Fälle, die den katholischen Einrichtungen inzwischen bekannt seien.

Katholische Caritas und evangelische Diakonie haben über ihre Fachverbände jeweils ihre Einrichtungen befragt. Etwa ein Achtel der heute in der Erziehungshilfe tätigen katholischen Einrichtungen hat geantwortet, dass sie Kontakt zu ehemaligen Heimkindern haben. Von diesen 46 Einrichtungen sind wiederum etwa ein Viertel mit Vorwürfen über Misshandlungen konfrontiert. Auf evangelischer Seite sieht es ähnlich aus.

Die Erhebungen werden erschwert dadurch, dass viele Heime und ihre Träger heute nicht mehr existieren, zahlreiche Akten vernichtet und nur wenige der früheren Erzieher Auskunft geben können und wollen. Zwei will der Runde Tisch heute anhören.

Am Runden Tisch ist bereits diskutiert worden, ob es für besonders »schlimme« Heime pauschale Entschädigungen geben soll. Genannt wurden etwa Freistatt in Niedersachsen oder Glücksstadt in Schleswig-Holstein. Bis zum Jahresende will der Runde Tisch einen Zwischenbericht vorlegen.

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