Herren der (Mais-)Welt

Der Informant! von Steven Soderbergh

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 4 Min.

Psychothriller ist das Lieblingswort in Deutschland«, sagt Mark Whitacre (Matt Damon) in der ersten Szene auf dem Weg ins Firmenbüro im Selbstgespräch, »und ich habe gedacht, sie hätten ein eigenes Wort dafür.« Warum er gerade diesem Gedanken nachgeht? Einfach so. Oder schwingt da etwas unterschwellig mit? Zunächst ist es ebenso wenig von Belang wie sein Name (die Ähnlichkeit mit dem eines kürzlich ins Rampenlicht getretenen Managers eines großen Automobilkonzerns ist absolut zufällig). Mark also arbeitet für ADM (Archer Daniels Midland), einem Branchenriesen, in dem Mark als Biochemiker Karriere gemacht hat. Da geht es um Mais, und Mais steckt einfach in allem drin, erklärt der hochdotierte Manager. Als aus irgendeinem Grund eine wichtige Produktionslinie plötzlich Verluste macht, Mark unter Druck gerät, behauptet er, hier handele es sich um Sabotage durch die Konkurrenz, »wie in einem Chrichton-Roman«. (Aha, daher die Thriller-Gedanken.)

Daraufhin wird, was er nicht voraussah, das FBI eingeschaltet. Um den Agenten gegenüber glaubhaft zu erscheinen, verrät er, dass seine Firma multinationale illegale Preisabsprachen tätigt. Und: »Jeder in diesem Land ist bereits Opfer eines Wirtschaftsverbrechens, wenn er sein Frühstück beendet hat«. Allerdings, er muss es sein, der die Beweise liefert, dafür, dass »ein Business-Meeting schon ein Verbrechen ist«. Gern lässt er sich vom FBI einspannen. Hat Gespräche bei seinen Verhandlungen und Geschäftsreisen rund um die Welt als Beweismittel für die schlimmen Praktiken aufzuzeichnen, mit Mikrofon und Rekorder bewaffnet ist er ständig »auf Draht«. Er fühlt sich wie ein Geheimagent, nämlich 0014, denn, sagt er, er sei doppelt so gut wie 007, wie James Bond. In den Jahren als Undercover-Agent steckt er parallel quasi in Michael Chrichtons »Firma«. Er erhofft sich nun von der ganzen Sache den Aufstieg zum Geschäftsführer. Die bisherigen Manager hinter Gittern, könnte er, die ehrliche Haut, die Konzernleitung übernehmen.

In einer Gesellschaft, die selten genug, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht, in Wahrheit und Lüge unterscheidet, hat er schnell gelernt, wie man sich durch Lügen Vorteile verschafft. Mark sagt bei einer Gelegenheit ganz offen, er habe sich früh schon als Heimkind ausgegeben, weil Mitleid nachsichtiger mache. Glaubhaft zu sein, ist die Voraussetzung für die Akzeptanz dessen, was ein Lügner verbreitet. Auch das gehört zu Marks Kapital an Lebensweisheit. Er erscheint lange Zeit über aufrecht, wenngleich recht schlichten Gemüts, doch dann wird der ach so ehrenwerte Maulwurf selbst der Wirtschaftskriminalität überführt: Er hat Millionen beiseite geschafft, und bei jedem neuen Geständnis, das er jeweils beschließt mit den Worten: »Das war's. Jetzt habe ich euch alles gesagt«, werden es immer mehr, sieben, neun oder waren es 11,5 Millionen Dollar – Überweisungsbetrug, Geldwäsche, Steuerhinterziehung –, nichts Besonderes, nicht erwähnenswert und letztlich gar nichts gegen die Summen, um die es in seiner Firma geht.

In die Enge getrieben, weil als Kronzeuge infragegestellt, versucht der notorische Lügner sich damit herauszuwinden, dass er gar die Regierung anklagt, versuchter Mord durch den FBI. – Wahn des Höhenfliegers oder glasklare, nüchterne Berechnung? Ja, der Depp ist durchaus nicht bedeppert, feuert seinen Anwalt, nutzt die Medien, wird geradezu öffentlichkeitssüchtig und – der Rest erscheint im Abspann: Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch des Enthüllungsjournalisten Kurt Eichenwald, beruht also auf einer wahren Geschichte in den 90ern. Der echte Mark Whitacre bekam 1997 seinen Prozess, stellte 2002 ein Gnadengesuch, 2006 wurde er entlassen. Die Firmenchefs kamen ebenfalls ins Gefängnis. Die US-Regierung hat über eine Milliarde Dollar an Bußgeld für illegale Preisabsprachen kassiert.

Matt Damon spielt den netten etwas über Vierzigjährigen mit einer souveränen Mischung aus offenherziger Naivität und nachvollziehbarer Unsicherheit (das typisch Damonsche Lächeln), aus leidenschaftlicher Durchtriebenheit und mittelständischer Biederkeit (er musste für die Rolle 15 Kilogramm Körpergewicht zulegen, trägt Schnauzbart, Brille und wie der echte Whitacre ein Toupet). Er ist als zwiespältige und dennoch oder gerade sympathische und amüsante Figur wie als Darsteller der Dreh- und Angelpunkt des Films. So sehr, dass die Faszination, die von Damons Aussehen, seinem Spiel und der zunehmend an Fahrt gewinnenden Handlung ausgeht, kaum einen Gedanken an das eigentlich Haarsträubende der Enthüllungen zulässt. Schwäche des Films? Eher nicht. Das Nicht-Deklamatorische, das Unaufdringliche setzt sich – umso wirksamer – ins Unterbewusstsein. Schwarzhumorige psychosoziale Studie, macht sie zugleich Macht-, Geltungs- und Geldgier als die alles beherrschenden Antriebskräfte des wirtschaftlichen Systems kenntlich. Dessen Absurdität und Morallosigkeit perlt wunderbar aus dem Ton der Ironie heraus.

Da wird auch konterkarierend die Musik (Marvin Hamlisch) eingesetzt – lustiger Hillbilly zu dramatischem Geschehen, signalhafte James-Bond-Melodien zu belanglosem Geschehen. Da kontrastiert der aus dem Off gesprochene innere Monolog Marks mit seiner jeweiligen Handlung. So und auf anderen formalen und inhaltlichen Ebenen wird der Widerspruch zwischen Schein und Sein sinnfällig gemacht.

Kurz: Das Schelmenstück ist eine Kapitalismuskritik, wie sie nicht besser als Unterweisung in der und über die aktuelle sogenannte Krise des Finanzen-Banken-Moral-Komplexes passen könnte.

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