Impfansturm auf Gesundheitsämter

Nur 123 Arztpraxen bieten bisher den Pieks gegen Schweinegrippe an

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Ab der kommender Woche dürfen Hausärzte die Impfung gegen die Schweinegrippe anbieten. Bisher können sich nur besonders gefährdete Berufsgruppen wie Beschäftigte im Gesundheitswesen, bei Polizei und Feuerwehr sowie chronisch Kranke bei Betriebsärzten und staatlichen Gesundheitsämtern impfen lassen.

Allerdings werden nach dem bisherigen Stand nur sehr wenige Hausärzte tatsächlich diese Impfung im Angebot haben. Dem Senat liegen lediglich 123 Verträge mit Ärzten vor. Mit weiteren 200 Arztpraxen stehe der Vertragsabschluss kurz bevor und möglicherweise kommen noch einige hinzu. »Das ist ein fortlaufender Prozess«, sagt Regina Kneiding, Sprecherin von Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (LINKE). Angestrebt sind 2000 Verträge. Die wären auch notwendig, um die Impfung in der Stadt flächendeckend anbieten zu können.

Hintergrund ist, dass das Land die Verträge mit den Ärzten selbst abschließen muss, nachdem die Kassenärztliche Vereinigung wegen der Honorarhöhe aus den Verhandlungen mit der Landesregierung ausgestiegen ist. Angeboten werden von Berlin 5,50 Euro Arzthonorar für den ersten Pieks und 4,50 Euro für die Folgeimpfung. Die Kassenärztliche Vereinigung fordert 7,10 Euro. Deren Vorsitzende, Angelika Prehn, selbst Hausärztin, weist auf den hohen Beratungsbedarf zur neuen Influenza und das Impfrisiko hin. »Darüber hinaus muss der Impfstoff täglich neu angemischt werden«, sagt sie. Für sie stellt sich die Frage, »ob das Land Berlin den Impfstoff nicht beim Hersteller zu teuer eingekauft hat und dies nun durch niedrigere Entlohnung der Ärzte ausgeglichen werden soll«. Nach ihren Informationen habe Berlin die Impfdosen zu einem Preis von sieben Euro eingekauft, während die Schweiz nur fünf Euro pro Dosis berappt haben. Regina Kneiding, Sprecherin der Gesundheitsverwaltung, macht jedoch keine Hoffnung auf eine Erhöhung der Arzthonorare. »Der finanzielle Spielraum ist eng bemessen. Das wird sich nicht ändern.«

Eine niedergelassene Ärztin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, spricht über ihre Gründe, sich nicht an der Schweinegrippeimpfung zu beteiligen: »Die Vertragsformulare mit der Landesregierung fordern von meinen Arzthelferinnen einen immens hohen bürokratischen Aufwand.« Hinzu komme, dass die Impfdosen im Zehnerpack geliefert werden und nur 24 Stunden haltbar seien. »Kommen pro Tag nur vier Patienten zum Impfen, muss ich die restlichen sechs Impfdosen vernichten und bleibe auf den Kosten sitzen.« Resigniert sagt sie: »Wenn der Senat das Verfahren nicht vereinfacht, sollten die Gesundheitsämter die Impfung übernehmen. Ich verweise meine Patienten auf das Gesundheitsamt.«

Dort soll nach ND-Recherchen die Nachfrage nach der Immunisierung bereits riesig sein. Telefonleitungen sind in mehreren Bezirken hoffnungslos überlastet. »Die Bürger rennen uns die Bude ein«, sagt etwa Lichtenbergs Amtsärztin Claudia Wein. Patienten, die weder im Gesundheits- oder Wohlfahrtswesen arbeiten noch chronisch krank seien, müsse man allerdings diese Woche noch wegschicken. Ob das nächste Woche auch noch so ist, müsse die Politik noch regeln, sagt Wein.

Dabei mangelt es in Berlin keinesfalls an Impfdosen. Die Hauptstadt hat bisher rund 110 000 Impfdosen beim Hersteller in Dresden geordert, von denen erst 15 000 durch Gesundheitsämter und Kliniken abgerufen wurden. FDP und CDU kritisieren die ihrer Meinung zu geringen Ärztehonorare und das chaotische Anlaufen der Impfungen.

Seit Juli sind in Berlin rund 1000 Fälle der neuen Influenza registriert worden. Derzeit nehmen die Erkrankungszahlen stark zu, man kann von einer beginnenden zweiten Welle sprechen. In den letzten sieben Tagen gab es mehr als 50 Neuerkrankungen.

Ab Montag stehen die Adressen der Arztpraxen, in denen die Impfung angeboten wird, im Internet unter www.berlin.de/impfen. Auch die bezirklichen Gesundheitsämter sollen ab nächster Woche eine telefonische Beratung anbieten, sofern die Leitungen nicht wegen der starken Nachfrage überlastet sind. Wer allein wegen der Impfung zum niedergelassenen Arzt geht, braucht keine Praxisgebühr zu zahlen. Weil sich unter Muslimen das Gerücht hält, sie seien gegen die Schweinegrippe immun, da sie gar kein Schweinefleisch essen. wollen türkischstämmige Ärzte morgen in Moscheen über die Impfungen informieren.

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