Kreative Ausbeutung

Der Komponist Johannes Kreidler lässt seine Musik in Billiglohnländern anfertigen

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Outsourcing in Billiglohnländer – da denkt man an teppichknüpfende Kinderhände und stumpfsinnige Fabrikarbeit. Dabei hat die Auslagerung von Arbeitsplätzen längst auch qualifizierte Tätigkeiten erreicht. Ja, sogar höchst kreative Schaffensprozesse lassen sich an entfernte Subunternehmer delegieren, wie der Komponist Johannes Kreidler beweist. »Fremdarbeit« nennt der 29-Jährige seine Kunstaktion, für die er einen chinesischen Komponisten und einen indischen Programmierer angeheuert hat, um typische Exemplare seiner eigenen Musik billig produzieren zu lassen. Das Ergebnis – Musik für Instrumentalquartett, Moderator und eingespielte Samples – wird am Samstag mit dem Ensemble Mosaik im Künstlerhaus Bethanien uraufgeführt.

»Mit dieser Aktion will ich das Outsourcing in andere Länder thematisieren«, sagt Kreidler, der aus dem schwäbischen Esslingen stammt und am Institut für Neue Musik der Musikhochschule Freiburg studierte. »Arbeitsplätze werden in Billiglohnländer ausgelagert; die Waren im Westen teuer verkauft. Dieses System basiert auf Ausbeutung.« Und es sei längst in Künstlerkreisen angekommen. »Es gibt zum Beispiel Maler, die ihre Bilder in China anfertigen lassen«, so Kreidler.

Ausgangspunkt für seine Aktion war ein Kompositionsauftrag für das Festival »Klangwerkstatt«. Statt dafür selbst etwas zu erarbeiten, suchte Kreidler im Internet nach Komponisten aus Billiglohnländern. »Schließlich machte ich einen chinesischen Komponisten ausfindig, der sonst Gebrauchsmusik für Hochzeiten schreibt. Westliche Avantgarde hatte er noch nie komponiert«, erzählt Kreidler. »Ich schickte ihm einige meiner Stücke und die Vorgaben bezüglich Besetzung und Aufführungsdauer. Das Ergebnis nähert sich dem an, was ich sonst mache. Es ist ein gelungenes Plagiat.«

Dann fand der Berliner Komponist einen indischen Audioprogrammierer, der ein Computerprogramm schrieb, welches Musik im Kreidler-Stil generiert. Die fertigen Stücke hat Kreidler seinen Subunternehmern abgekauft. Sie gehören jetzt rechtlich ihm allein und werden durch die GEMA weiterverwertet. Kreidler hat Profit gemacht: Die Produktionskosten für das Auftragswerk liegen weit unter dem Honorarbetrag, den er selbst einstreicht. »Diese Unmoral im System wollte ich zeigen«, sagt der Komponist.

Gleichzeitig hinterfragt er mit seinem Stück »Fremdarbeit« das Wesen von Autorenschaft. »Kultur entsteht immer in Zusammenarbeit«, meint Kreidler, der mit dieser Aktion nicht zuletzt die gesellschaftliche Debatte über das Urheberrecht beflügeln will. »Unser Urheberrecht, das auf dem Konzept des geistigen Eigentums beruht, ist in seiner jetzigen Form nicht mehr zeitgemäß. Ich befürworte eine Kultur-Flatrate.«

Diese Überlegungen stellte Kreidler schon in den Mittelpunkt einer früheren Aktion. Vor einem Jahr meldete er bei der GEMA ein Stück mit über 70 000 Samples an. »Man muss jeden Fremdanteil einzeln angeben«, erklärt der Komponist. »Ich bin dann mit einem Lastwagen voller ausgefüllter Formulare bei der GEMA vorgefahren.«

Auftraggeber von »Fremdarbeit« ist das Berliner Neue-Musik-Festival »Klangwerkstatt«, in dessen Rahmen das Stück auch uraufgeführt wird. Kreidlers Outsourcing-Aktion lässt sich als Kommentar zu den Sparzwängen lesen, denen das Festival ausgesetzt ist. Denn obwohl die Klangwerkstatt, eines der ältesten Neue-Musik-Festivals in Europa, an diesem Wochenende schon zum 20. Mal stattfindet, wurden ausgerechnet im Jubiläumsjahr die öffentlichen Förderungen extrem reduziert.

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