»Es war nicht alles schlecht«

SPD in München versucht sich in Kritik und endet im Heimatabend

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.
Bis zum Parteitag am Wochenende reist das künftige Spitzenduo der SPD noch durch die Landesverbände der Partei. Am Sonntag waren Sigmar Gabriel und Andrea Nahles in München.

Sie liegen auf dem Boden und das Laub deckt sie langsam zu – die Wahlplakate der SPD an der Münchner Ludwigstraße. Die Partei hat noch keine Zeit oder keine Kraft mehr, sie wegzuräumen. Auf ihnen ist das Konterfei von Axel Berg zu erkennen, dem einzigen SPDler, der in Bayern noch über ein Direktmandat in den Bundestag eingezogen war. Doch auch ihn hat die »Katastrophe« vom 27. September getroffen, sein Mandat ist weg. Wie es zu dieser Katastrophe von nur 23 Prozent der Stimmen für die Sozialdemokraten kommen konnte, dazu hatte die SPD mit dem neuen Führungsduo ihre Mitglieder am Sonntagabend in den Münchner Hofbräukeller geladen. Doch wer glaubte, hier würde eine harte Abrechnung mit Fehlern der Vergangenheit geschehen, der irrte. Die Veranstaltung hatte mehr den Charakter eines Heimatabends für geschundene Partei-Seelen.

Als der designierte Parteichef Gabriel und die designierte Generalsekretärin Nahles den Saal betreten, prescht ein jüngerer Genosse vor und will von Gabriel ein Autogramm in sein rotes Parteibuch. Auch sonst sind die beiden künftigen Parteispitzen willkommen, es empfängt sie anhaltender Applaus der rund 400 Anwesenden, der Saal ist gut gefüllt. Im Publikum sitzt auch Georg Kronawitter, Urgestein der Münchner SPD und langjähriger Bürgermeister. »Ich hoffe, dass Fraktur geredet wird und man sieht, wie die Stimmung an der Basis ist«, drückt der 81-Jährige seine Erwartungen an den Abend aus. Robert Holzmann hingegen ist 40 Jahre jünger und erst seit vier Jahren in der Partei. Er erwarte eine Diskussion darüber, was gut war und was man ändern müsse. Und man solle nicht alles verteufeln, was war. Und was war? »Einen Schlag in das Herz der SPD« nennt der Münchner SPD-Chef Hans-Ulrich Pfaffmann das Ergebnis der Bundestagswahl und fragt: »Lag es an den Hartz IV-Gesetzen, an der Rente mit 67, an Afghanistan?« Er wünsche sich einen »kritischen Abend«.

Dieser Wunsch bleibt freilich unerfüllt. Gabriel relativiert zunächst das, was er selbst als Katastrophe bezeichnet hat, das Wahlergebnis: »Die SPD hat schon größere Krisen überstanden.« Dann zieht er sich kurz das Büßergewand über: »Ich bin mitverantwortlich für alles, was wir getan haben.« Aber eben auch: »Es war nicht alles schlecht.«

Es sind Sätze, die Gabriel schon Dutzende Male auf den Veranstaltungen dieser Good-Will-Tour quer durch die Bundesrepublik gesagt hat und er liefert auch seine Analyse der Niederlage. Dass die SPD in der politischen Mitte die »Deutungshoheit« verloren und dass sich die SPD zu sehr der neoliberalen Deutungsmacht angepasst habe: »Da haben wir Dinge getan, die sich nicht mit dem Lebensgefühl der Menschen vertragen.«

Gabriel und Nahles geben sich volks- und basisnah, sprechen von ihren Wahlkreisen zu Hause und von Bekannten, die ihnen gesagt haben: »Die SPD hat ihr Herz verloren.« Die beiden mühen sich offensichtlich, die Seele der Parteibasis zu streicheln. Die Kommunikation innerhalb der Partei müsse verändert werden, es müsse jedes Jahr einen Parteitag geben, »damit die Leute wissen, wo wir stehen«. Das Ehrenamt in der Partei solle aufgewertet, die Ortsverbände von zu vielen E-Mails aus Berlin verschont, überhaupt sollen von nun an die Mitglieder mehr befragt werden.

Für all diese Sätze erhalten Gabriel und Nahles viel Beifall, lang anhaltendes Klatschen auch für den Ausspruch, Frank-Walter Steinmeier wäre der bessere Kanzler gewesen. Es ist so, als lechzten die Münchner Genossen nach jedem rhetorischen Balsam, der ihnen geboten wird. Diskussion und Abrechnung mit der Vergangenheit gestalten sich jedenfalls sehr moderat. Ein Redner aus München-Schwabing kritisiert »Afghanistan hat nichts mit Friedenspolitik zu tun« und fragt nach der Antwort der SPD auf die Bankenkrise. Ein anderer spricht sich gegen die Privatisierung der Bahn aus, hier sei »die Mehrheit der Leute« dagegen. Ein Genosse aus dem Unterallgäu wiederum meint, »gerne an der Seite von Steinmeier, Gabriel und Nahles« zu stehen. Und Markus Rinderspacher sieht schon wieder die »Partei in Bayern gut aufgestellt«, vielleicht weil er zum Fraktionschef im bayerischen Landtag gewählt wurde. Dem Politiker entschlüpfen auch schon wieder Weisheiten wie: »Nach der Wahl ist vor der Wahl«. »Diese Schönrednerei gehe in großem Maße weiter«, kritisiert denn auch einer, der sich als Juso zu erkennen gibt. Vor sich hat er ein Schild liegen. »Mehr Sozialdemokratie wagen« steht drauf. Hochheben tut er es aber nicht.

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