Winterwandern mit der Herde

Vom Lämmerverkauf allein können Schäfer nicht mehr leben. Sie sind heute auch Landschaftspfleger

  • Angelika Röpcke, dpa
  • Lesedauer: 2 Min.

Lonnerstadt. Nebel wabert über die Felder, als Hunderte von Schafen plötzlich die Köpfe drehen und ihren Chef anschauen. Um die null Grad zeigt das Thermometer, eisig fühlt sich jeder Windzug auf der Haut an. Handschuhe und Pudelmütze braucht Klemens Ross noch lange nicht, er friert eigentlich nie. Der Wanderschäfer wirft sein ausgewaschenes schwarzes-graues Staubhemd über seinen Wollpullover, setzt einen grünen Filzhut auf und stapft in Gummistiefeln zu seinen Schafen. Insgesamt 640 Muttertiere und etliche Lämmer zählt seine Herde. Seit Ende August ist der Mittelfranke mit seinen Tieren von Rothenbuch im Spessart in die Heimat nach Lonnerstadt (Landkreis Erlangen-Höchstadt) unterwegs – Anfang Dezember wollen sie die 135 Kilometer lange Tour bewältigt haben. Bayernweit gibt es nur noch etwa 100 Wanderschäfer, die jährlich eine so weite Strecke zurücklegen. Insgesamt sind es im Freistaat nach Auskunft der Herdbuchgesellschaft für Schafzucht gut 300 hauptberufliche Schäfer und 8000 Schafhalter. 260 000 Tiere weiden auf den bayerischen Wiesen, so viele wie in keinem anderen Bundesland. Ross' Familie züchtet seit vier Generationen Merino-Landschafe. Vom Verkauf der Lämmer kann der 47-Jährige aber schon lange nicht mehr leben, obwohl er 365 Tage im Jahr etwa 12 Stunden täglich arbeitet. »Wir produzieren mit einem Defizit pro Mutterschaf von etwa 30 Euro im Jahr.« Grund: Die Preise sind im Keller. 1978 brachte ein Kilo Lebendmasse noch 5,20 D-Mark für den Schäfer, heute seien es im Schnitt nur rund zwei Euro, trotz gestiegener Kosten bei Strom etc. Etwa 110 Euro verschlingt die Haltung eines Schafes im Jahr, für maximal 90 Euro lässt sich das Tier allerdings nur an den Schlachter verkaufen. Ross und Kollegen verdingen sich daher als »Dienstleister der Kulturlandschaft«, erklärt der Wanderschäfer. Bayern und EU zahlen Geld dafür, dass Weiden und Äcker von den Schafen kurz gehalten werden. Reich, das weiß auch Wanderschäfer Ross, kann damit jedoch niemand werden.

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