Riesenschlappe für die NPD

Deutlich weniger Nazis als befürchtet kamen ins bayerische Wunsiedel zum »Gedenkmarsch«

  • Jörg Meyer, Wunsiedel
  • Lesedauer: 3 Min.
Weniger Nazis als erwartet marschierten am Samstag für den verstorbenen NPD-Vize Jürgen Rieger. Wunsiedeler Bürger gedachten der Opfer des Todesmarsches im April 1945. Die Aufhebung des Marschverbotes durch den Bayrischen Verwaltungsgerichtshof wurde scharf kritisiert.
Probleme mit der deutschen Sprache: Berliner Nazis präsentieren in Wunsiedel ihre Grammatikschwäche.
Probleme mit der deutschen Sprache: Berliner Nazis präsentieren in Wunsiedel ihre Grammatikschwäche.

Das Gedenken an ihren Parteivize und obersten Finanzier hat sich die NPD sicherlich anders vorgestellt. Auch wenn mit rund 850 Nazis am Samstag nicht wenige auf den Straßen des oberfränkischen Städtchens Wunsiedel waren, war es für die Nazis und die NPD eine Riesenschlappe. Es kamen nicht – wie befürchtet – mehrere Tausend, die Route wurde stark verkürzt. Der schwarz gekleidete braune Block wanderte einmal ums Karree am Rande der Stadt, begleitet von »Nazis Raus!«-Rufen und einem gellenden Pfeifkonzert. Die rund 1500 Polizisten hielten die Gruppen auf Abstand. Nach einer guten Stunde war der braune Spuk denn auch wieder vorbei.

Rund 1000 Bürgerinnen und Bürger, Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, und Antifas waren dem Aufruf der Bürgerinitiative »Wunsiedel ist bunt – nicht braun« gefolgt. Die Polizei sprach von sieben Festnahmen auf rechter und neun auf linker Seite. Unter den angereisten Nazis befanden sich neben der NPD-Parteispitze Kameradschaften und sogenannte Autonome Nationalisten.

Die Stadt setzte den Nazis eine Gedenkveranstaltung zum »Volkstrauertag« entgegen, die laut Bürgermeister Karl-Willi Beck (CSU) schon vor Riegers Tod geplant war. Am 15. April 1945 zog einer der Todesmärsche vom KZ Flossenbürg nach Buchenwald durch Wunsiedel, 30 Opfer liegen auf dem Friedhof. Mehrere hundert Menschen gingen Samstag den Weg des Todesmarsches nach und markierten ihn mit Kerzen.

Bei der Auftaktkundgebung am Nachmittag hatte Beck die Entscheidung des VGH in München, das Aufmarschverbot zu kippen, scharf kritisiert. Beck sprach von einer »Provokation der aktiven Bürgerschaft«. Es müsse auch daran erinnert werden, wofür Rieger gestanden habe, nämlich für die Verherrlichung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß und des NS-Regimes. Der neuerliche Naziaufmarsch in Wunsiedel verletze so auch die Würde der Opfer. Allen sei klar, dass es den Rechten nur darum gehe, wieder in der Stadt aufzutreten, in der Heß seit seinem Suizid 1987 begraben liegt, sagte Beck. Er sprach sich zudem erneut für ein NPD-Verbot aus.

Karl Rost von der Bürgerinitiative sagte, Gegenwart und Zukunft können nur gestaltet werden, »wenn man seine Vergangenheit kennt«. Die Initiative hatte den Todesmarsch erforscht und die Gedenkveranstaltung organisiert. Beifall erntete Rost für seinen Satz: »Wir fühlen uns durch den Richterspruch im Stich gelassen.«

Nach Heß' Tod hatte sich der jährliche Aufmarsch in Wunsiedel zu einem der größten Deutschlands entwickelt. 2004 kamen rund 5000 Alt- und Neonazis aus ganz Europa. Seitdem sind die »Heßmärsche«, deren treibende Kraft Rieger war, verboten.

Dass deutlich weniger Nazis nach Wunsiedel gekommen waren, dürfte auch daran liegen, dass Rieger in der Szene keineswegs nur Anhänger hatte. Sein großes Vermögen vermachte Rieger seiner Familie, was die finanziell gebeutelte NPD in arge Schwierigkeiten bringen dürfte. Was mit seinen Immobilien geschieht, ist nach Medienberichten noch unklar. Die Familie teilte seine rassistischen Ansichten nicht.

Der nicht ausgestandene Richtungsstreit zwischen den ewig-gestrigen Nazis und militanten Kameradschaften um Rieger und Parteichef Udo Voigt und dem eher gemäßigten Flügel um den Vorsitzenden der sächsischen NPD-Fraktion, Holger Apfel, könnte nach dem Ableben Riegers, der die Kameradschaften in die Partei integriert hatte, wieder aufflammen.

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