Nicht nur reden ...

Hanjo Lucassen: Gewerkschafter haben gewarnt

  • Lesedauer: 4 Min.
Hanjo Lucassen ist DGB-Chef in Sachsen. Der heute 65-jährige Westfale kam 1990 in den Osten. Zwischen 1999 und 2004 saß er für die SPD im sächsischen Landtag. Mit dem Gewerkschafter sprach Gabriele Oertel auf dem SPD-Parteitag in Dresden.

ND: Bisweilen hat die SPD-Basis auf dem Parteitag ziemlich Fraktur geredet. Haben Sie den Eindruck, dass das nicht nur nötig, sondern auch hilfreich war?
Lucassen: Es war nötig wie hilfreich. Die Partei war in einer äußerst schwierigen Situation und insbesondere Gewerkschaftsmitglieder und Arbeitnehmer haben sich in der SPD nicht mehr wohlgefühlt – wegen der Agenda 2010, wegen des starren Festhaltens von Müntefering an der Rente mit 67. Die SPD hätte im Vorfeld erkennen müssen, dass sich all das gegen ihre Wähler richtet. Mit diesen verkorksten Dingen ist doch keine Wahl zu gewinnen.

Dutzende haben in der Debatte gesprochen, haben mal tüchtig geschimpft. Und nun ist alles gut?
Nein. Es war sicherlich richtig, dass man Zeit und Raum gelassen hat, auch mal etwas loszuwerden. Es hatte sich bei vielen SPD-Mitgliedern und Gewerkschaftern eine Menge Wut aufgestaut. Man darf aber nicht nur Raum geben, damit alle Unzufriedenen sich mal auskotzen und glauben, dann ist alles gut. Ich hoffe nur, dass die Kritik nicht nur Eingang in die Ohren der Führungsspitzen gefunden hat, sondern dass man es auch verinnerlicht – und vor allem die richtigen Schlüsse daraus zieht. Bislang war die Kritik, die auf diesem Parteitag laut geworden ist, von uns im Gewerkschaftsrat der SPD immer wieder formuliert worden – wir haben vorausgesagt, dass das für die SPD zum Rohrkrepierer wird. Und Müntefering hatte darauf immer nur stereotyp geantwortet: Die Rente mit 67 bleibt. Der neue Parteivorstand muss die Stimmung an der Basis im Unterschied zu früher ganz, ganz ernst nehmen – sonst hat dieser Parteitag auch nichts genützt.

Sind Sie zufrieden mit dem Leitantrag des Vorstandes, zu dem es auch zahlreiche kritische Anmerkungen gab?
Ich bin als SPD-Mitglied und Gewerkschafter nicht ganz zufrieden, auch wenn ich weiß, dass jeder Leitantrag Kompromisse beinhaltet – zwischen verschiedenen Interessen, man kann auch Flügel dazu sagen. Aber ich denke, es hätte der SPD nicht schlecht angestanden, wenn sie sich deutlicher zu manchen sozialpolitischen Fragen positioniert hätte.

Es gibt Leute, die begründen die Schwammigkeit damit, weil sie im Leitantrag ein Erbstück von Müntefering sehen. Sie auch?
Franz als alter Fuhrmann aus der nordrhein-westfälischen SPD, aus der ich auch komme, musste sich nicht von ungefähr den Vorwurf gefallen lassen, Schröders Basta-Politik auch selbst zu verkörpern. Insofern hat er freilich versucht, als Noch-Vorsitzender diesem Parteitag seinen Stempel aufzudrücken. Ich hoffe, dass das, was der neue Parteivorsitzende selbstkritisch gesagt hat, nicht nur Balsam auf die Wunden einer arg geschundenen SPD-Seele sein sollte. Er hat angeboten, über alles zu reden. Und es ist gut, wenn es nicht nur einen Ukas gibt, sondern diskutiert wird. Aber wir dürfen nicht nur reden, es muss in manchen Punkten, wie bei der Rente mit 67, auch etwas passieren. Das ist auch europäisch gefährlich. Weil die aus Deutschland kommende Rente mit 67 in allen europäischen Ländern inzwischen als eine Heilslehre angesehen wird. Und das halte ich für falsch. In der heutigen Arbeitswelt müssen andere Antworten gegeben werden. Kurz und gut: Ich hoffe, dass inhaltlich wie im Stil jetzt eine andere Politik in der Partei umgesetzt wird. Sonst wird es für die SPD ganz schön gefährlich.

Das heißt, dass Sie sich nicht sicher sind, ob Dresden schon den Neubeginn für die SPD bedeutet?
Ich weiß nur: Wenn der SPD das Umsteuern hin zu mehr sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit nicht gelingt, stehen ihr haarige Zeiten bevor.

23 Prozent bei der Bundestagswahl – schlimmer kann es ja wohl kaum kommen.
Als sächsisches SPD-Mitglied weiß ich, es kann noch schlimmer kommen. Es kann keinem daran gelegen sein, dass die SPD sich nicht stabilisiert. Auch weil sie im linken Spektrum wieder mehr an Gewicht bekommen muss. Sonst sieht es in dieser Republik nicht gut aus. Das zeigen die ersten Maßnahmen von Schwarz-Gelb.

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