Bürgerinitiative bringt irritierte Grüne in Defensive

Schwarz-Grün unter Druck, Hamburger Schulreform auf der Kippe

  • Folke Havekost
  • Lesedauer: 3 Min.
Hamburg – Sitzenbleiben soll es ab dem nächsten Schuljahr in Hamburg nicht mehr geben. Derzeit allerdings steht die schwarz-grüne Koalition in der Hansestadt vor ernsthaften Versetzungsproblemen. Bürgermeister Ole von Beust sprach von einem »Paukenschlag«: Die von der Bürgerschaft beschlossene Schulreform droht an einem Volksbegehren zu scheitern.

Das Gesetz sieht künftig eine Primarschule bis zur sechsten (statt vierten) Klasse vor. Danach entscheidet die Lehrerkonferenz, ob ein Kind aufs sechsjährige Gymnasium oder auf die neu eingeführte Stadtteilschule versetzt wird. Ein Kompromiss: Für das von den Grünen gewünschte längere gemeinsame Lernen erhielt die CDU das Gymnasium, das der Koalitionspartner zugunsten einer Gemeinschaftsschule abschaffen wollte.

Schnell regte sich Protest. Dass Eltern nicht mehr über die weiterführende Schule mitentscheiden durften, stieß ebenso auf Widerspruch wie die mutmaßliche Entwertung des Gymnasiums durch eine sechsjährige Grundschulzeit. Das Volksbegehren »Wir wollen lernen« legte statt der benötigten 62 000 Unterschriften am Mittwoch gleich 184 500 vor. Wenn die Bürgerschaft sich mit den Initiatoren nicht bis zum 17. März einigt, käme es kurz vor der geplanten Einführung des neuen Schulmodells im Sommer 2010 zu einem Volksentscheid. Dann müssten mindestens 247 000 Hamburger für das Volksbegehren stimmen, um das Gesetz zu kippen und damit faktisch Schwarz-Grün zu beenden. Keine unüberwindbare Hürde, wie die vergangenen Wochen gezeigt haben.

Auf die lange Schulbank lässt sich das Problem für die gleichermaßen betroffenen Regierungsparteien jedenfalls nicht mehr schieben. »Niemand kann die Kritik noch als Gucci-Protest reicher Hamburger abtun«, meinte Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Philologen-Verband zwar – doch die meisten Unterschriften stammen zweifellos aus den Reihen einer fremdelnden CDU-Wählerschaft. Vernehmbar grummelt die mittlere Funktionärsebene der Partei, mit der Schulreform sei man den Grünen viel zu sehr entgegen gekommen.

Für die Grünen indes ist die Schulreform eine Herzensangelegenheit – das Thema, das die ungewohnte Koalition legitimiert. Auf der grünen Landesmitgliederversammlung vor zwei Wochen nannte die Bundesvorsitzende Claudia Roth das Projekt »das vielleicht Wichtigste, was ihr durchgesetzt habt«. An einer »Wand der Vielfalt« konnten die Anwesenden Zettel mit Argumenten anbringen, »warum ihr für die Schulreform seid«. Zwischen den Zeilen klang die Irritation durch, dass ausgerechnet die alte Bewegungspartei von einer konservativen Bürgerinitiative in die Defensive gedrängt wird.

Während die Grünen-Bildungssenatorin Christa Goetsch jetzt verstärkt mit Eltern reden will, inhaltliche Änderungen jedoch ablehnt, deutete von Beust Verhandlungsbereitschaft an. Zwar sei die sechsjährige Primarschule unantastbar, über die Einbeziehung der Eltern in die Sekundarschulentscheidung ließe sich aber reden. »Das Ergebnis trifft auch mich persönlich«, räumte der Bürgermeister ein. Angesichts seines populären präsidialen Regierungsstils lässt ein solcher Satz die Alarmglocken bei den Grünen nur noch lauter läuten.

Ein Runder Tisch zeichnet sich daher ab – unter Einbeziehung der oppositionellen SPD, deren Landeschef Olaf Scholz bereits Unterstützung für einen »parteienübergreifenden Konsens« angeboten hat. »Wir wollen lernen«-Sprecher Walter Scheuerl engte den Verhandlungsspielraum jedoch ein. »Wir haben nicht das Mandat von 184 500 Hamburgern, um einen Kompromiss zu akzeptieren«, erklärte der Jurist, der auch Elternratsvorsitzender an einem bilingualen Gymnasium ist. Vielleicht hilft das ja doch, bei den anstehenden Konsultationen eine gemeinsame Sprache zu finden.

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