Lässt sich Solidarität globalisieren?

Gewerkschaftsaktivist Roberto Madriz über das EU-Freihandelsabkommen

  • Lesedauer: 3 Min.
Roberto Madriz ist Vertreter der Nationalen Front für die Verteidigung der öffentlichen Dienste und Naturressourcen in Guatemala.
Roberto Madriz ist Vertreter der Nationalen Front für die Verteidigung der öffentlichen Dienste und Naturressourcen in Guatemala.

ND: Die Europäische Kommission möchte, dass in den kommenden Wochen ein Freihandelsabkommen mit den Ländern Lateinamerikas unterzeichnet wird. Was stört Sie daran?
Madriz: Dieser folgenschwere Vertrag wird von den Regierungen der EU und den zentralamerikanischen Staaten verhandelt, und schon das ist ein Problem. Wenn ein solches Abkommen geplant wird, müssen alle Betroffenen am Tisch sitzen. Die Gespräche werden aber unter Ausschluss der sozialen Organisationen geführt, die einen Großteil der Bevölkerung ausmachen. Nur die Unternehmer sitzen noch mit am Tisch.

Welche Konsequenzen befürchten Sie, wenn es tatsächlich zu einem Freihandelsvertrag kommt?
Wir befürchten negative Auswirkungen für den Arbeitsmarkt und auch, dass die EU-Konzerne ihre Arbeitskräfte mitbringen und damit arbeits- und tarifrechtliche Standards unterlaufen. Der Import von sogenannten Billigarbeitern, die gewerkschaftlich nicht organisiert sind, wäre ein Problem, das ganz Zentralamerika betreffen würde. Deswegen ist dabei eine Regelung notwendig.

Darüber hinaus bereitet uns Sorge, dass der Warenaustausch nicht geregelt wird. Die Regierung Nicaraguas hat dahingehend eine sehr verdienstvolle Initiative ergriffen: Sie drängte auf einen arbeitsrechtlichen Passus und einen Abschnitt, den sie mit dem Titel »Zusammenarbeit zum gegenseitigen Aufbau der Demokratie« überschrieb. Die Vertreter Managuas stießen damit jedoch auf taube Ohren. Auch die Regierungen von Guatemala, El Salvador und von Honduras unter Manuel Zelaya wandten sich gegen eine solche Regulierung – obwohl Zelaya sich auch für eine Marktintegration in den lateinamerikanischen Staaten eingesetzt hat.

Von einigen Beobachtern wird der Putsch gegen Zelaya in Honduras deshalb auch in Verbindung mit dem Freihandelsprojekt gesehen.
Natürlich gibt es Verbindungen. Gerade bei Ihnen in Deutschland gibt es mit der FDP eine neoliberale Partei, von der dieser Putsch offen unterstützt wird. Zugleich hat der Umsturz aber das Abkommen aufgehalten. Das gibt Europa Zeit, in sich zu gehen und die möglichen Folgen des derzeit diskutierten Abkommens zu bedenken.

Was muss sich ändern?
Wir brauchen eine Beteiligung der Massenorganisationen. Es müssen diejenigen beteiligt werden, die von der Regelung tatsächlich betroffen sind. Zum anderen fordern wir Einsicht von der Europäischen Union: Selbst die wirtschaftlich schwächsten Staaten der EU, und Deutschland gehört sicher nicht dazu, würden uns überrollen. Der größere Fisch frisst eben den kleineren – wenn man ihn nicht schützt.

In Zentralamerika ist die Freihandelsfrage eines der wichtigsten Themen der Gewerkschaften. Weshalb sollten sich auch europäische Arbeitnehmerverbände damit befassen?
Weil Solidarität keine Einbahnstraße ist. Vor fast genau einem Jahr haben wir in Guatemala-Stadt eine Demonstration mit knapp 15 000 Teilnehmern gegen die Schließung der Werke des japanischen Autokonzerns Nissan in Spanien organisiert. Das war fast amüsant, weil Kollegen »Nein zu Entlassungen bei Nissan« an die Wände sprühten und die Menschen erst einmal nichts damit anfangen konnten.

In Guatemala gibt es ja keine Werke dieses Automobilherstellers. Aber der Protest war dennoch ein enormer Erfolg, denn er hat gezeigt, dass wir Bewusstsein schaffen und die Solidarität globalisieren können.

Fragen: Harald Neuber

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