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Gegen Mütter? Für Väter?
Zur SacheVon Silvia Ottow
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied gestern für einen Vater, der gegen den Willen der Mutter das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter beantragt hatte und damit vor einem deutschen Gericht scheiterte.
Der 45-jährige Mann aus Pulheim bei Köln hatte seit acht Jahren dafür gestritten, an Entscheidungen, die von erheblicher Bedeutung für das Kind sind, mitbeteiligt zu sein. Dazu gehören beispielsweise Operationen, die Auswahl des Kindergartens und später der Schule, die Berufswahl und die Ausbildung sowie der Aufenthalt des Kindes. Darf die Mutter mit dem Kind in einen anderen Ort oder ein anderes Land ziehen, soll das Mädchen religiös aufwachsen? Wofür wird der Unterhalt verwendet? Das alles sind Fragen von erheblicher Bedeutung, die nach deutschem Recht nur verheiratete Paare gemeinsam klären können. Für unverheiratete Eltern gilt das alleinige Sorgerecht der Mutter – es sei denn, beide Eltern unterzeichnen nach der Geburt eine Erklärung, dies künftig gemeinsam auszuüben.
Der Gesetzgeber muss jetzt das Kindeswohl gerichtlich prüfen, wenn ein unverheirateter Vater ein gemeinsames Sorgerecht anstrebt, sagte Anwalt Georg Rixe gestern. Das Urteil des Gerichtshofes für Menschenrechte gebe unehelichen Vätern die Möglichkeit, mehr Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen und stärke auch das Recht der Kinder auf beide Eltern. Genau darin liegt die Crux. Kinder spielen in den Auseinandersetzungen zwischen Vätern und Müttern mitunter nur eine untergeordnete Rolle, weil über sie lediglich der Streit der Erwachsenen weitergeführt wird. So enthält die sorgeberechtigte Mutter dem Vater das Kind vor, während dieser keinen Unterhalt bezahlt, um seine Ex zu erziehen. Mit dem Kindeswohl hat beides nichts zu tun. In einer strittigen Situation, in der ein Partner das Sorgerecht ganz ausdrücklich nicht mit dem anderen teilen möchte, kann ein Urteil, das ihn – vielleicht sogar bei Strafandrohung – dazu verpflichtet, wahrscheinlich wenig bewirken.
20 Prozent aller Kinder leben heute nur mit einem Elternteil zusammen und das ist in 93 Prozent aller Fälle die Mutter. Das hat viele Gründe – unter anderem die Geburt, die gesellschaftliche Rollenverteilung, die Verweigerung der Väter. Wenn die Entscheidung des europäischen Gerichtshofes nicht als eine gegen Mütter oder für Väter, sondern vor allem für Kinder aufgefasst würde, wären wir einen gewaltigen Schritt weiter.
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