Ein Dorf rückt zusammen

Heute eröffnen Einwohner von Bollschweil das erste dörfliche Genossenschaftsgasthaus Deutschlands

  • Michael Scheuermann, Freiburg
  • Lesedauer: 6 Min.
Außen noch Baustelle, innen bereits fertig war der Bürgergasthof »Bolando«, als die Aktivisten nach 4 Jahren Engagement und 14 Monaten Umbau ihren ersten Test unter Realbedingungen starteten. Fotos: Michael Scheuermann
Außen noch Baustelle, innen bereits fertig war der Bürgergasthof »Bolando«, als die Aktivisten nach 4 Jahren Engagement und 14 Monaten Umbau ihren ersten Test unter Realbedingungen starteten. Fotos: Michael Scheuermann

Für den Frühschoppen, die abendliche Stammtischrunde oder Auswärtsessen nahmen die Bollschweiler Strecken vom Nachbarort bis ins zwölf Kilometer entfernte Freiburg in Kauf. Seit vor Jahren das einzige Dorfgasthaus in ein Chinarestaurant umgewandelt wurde, fehlte den Einwohnern der 2000-Seelen-Gemeinde am Schwarzwaldrand ein Treffpunkt zum gemütlichen Beisammensitzen, Vespern und Feiern – nichts Ungewöhnliches mehr in Deutschlands Dörfern und Schlafstädten.

Als sich daraufhin ein paar Dorfbewohner für den Umbau ei-nes leer stehenden Wohn- und Scheunenhauses in der Ortsmitte zu einem gemeinsamen Kommunikations- und Dorftreffpunkt einsetzten und dafür eine Genossenschaft (e.G.) gründeten, stießen sie bei Bürgern und Gemeinderat anfangs auf Ablehnung. Heute eröffnet mit dem »Bolando« das erste dörfliche Genossenschaftsgasthaus Deutschlands.

Erschwingliche Kochkunst von guter Qualität erwartet die Besucher. Vom Kinder- über den Vesper- und Vorspeisenteller bis zu Tages- und Hauptgerichten, hält die Speisekarte ein breites Angebot zu moderaten Preisen bereit. Auch Vegetarisches, hausgemachte Kuchen und lokale Weine gibt es hier.

Vorlauf unter Realbedingungen

»Ein befreiendes Gefühl, dass wir jetzt hier sitzen«, freute sich Gründungsmitglied Uschi Mangold, während sie in den ersten »Bolando-Burger« ihres Lebens beißt. Vier Jahre haben sie und ihre Mitstreiter für das Gasthaus gekämpft, es gemeinsam umgebaut und zwei Wochen vor dem Betriebsstart sichergestellt, dass alles klappt.

Rund 60 ehrenamtliche Helfer, beteiligte Firmenmitarbeiter und die Mitglieder durften im »Bolando« drei Tage lang bei gut- bis vollbesetztem Haus testen, wie Küche und Bewirtung unter Realbedingungen klarkommen. Mangolds Tischnachbar isst Zanderfilet, andere Schweinsmedaillons, Pfannengemüse oder die Salatschüssel mit Champignons, zubereitet vom frisch eingestellten französischen Küchenchef Charles Henri Gaspard. Trotz allseitigen Beifalls ist der gebürtige Guadeloupianer mit 30-jähriger Berufserfahrung in der Schweiz, Frankreich und Deutschland am ersten Tag noch nicht ganz zufrieden. Bis zur Eröffnung sollte das »noch ein bisschen schneller gehen«, räumt er ein.

Einfach war der Weg nicht, erinnert sich Genossenschaftsvorsitzender Karl Dischinger. Die kritischen Stimmen im Ort überwogen. »Viele Menschen mussten überzeugt« und noch mehr Geld zusammengetragen werden. Doch als der Bürgermeister des 2000-Seelen-Dorfs 2006 den Verkauf des gemeindeeigenen Gebäudes in zentraler Lage für eine Neubebauung forcierte, war das vielen Einwohnern dann doch nicht recht. Die Anstrengungen erweiterten sich also auch auf den Erhalt des alten Dorfensembles, dem die hier begrabene Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz in ihrer »Beschreibung eines Dorfes« 1966 ein literarisches Denkmal setzte.

Nur traute der Handvoll Bürger keiner so recht zu, genügend Geld aufzubringen sowie Umbau und Betrieb zu meistern. Erst als sie Finanzierungs-, Sanierungs-, Einrichtungs- und Gastronomieexperten für die Genossenschaft gewannen, ließen sich Bürgerschaft und Gemeinderat überzeugen, erzählt Gründungsmitglied Uschi Mangold. Vertreter des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands bestätigten die Rentabilität, ein lokaler Architekt die bauliche Machbarkeit. Als sich dann noch einer »der entschiedensten Gegner« des Projektes annahm, kam die Sache richtig in Schwung, schwärmt die Ur-Bollschweilerin. Der kritische Dorfbewohner, von dem keiner so recht wusste, was er beruflich tat, entpuppte sich als Sanierungsexperte für Hotels und Gaststätten.

Professionalität überzeugte

»Ein Glücksfall“, sagt Uschi Mangold heute, denn damit bekamen Einrichtungsplanung, Personalberechnungen und Finanzierung Hand und Fuß. Mittlerweile hatten der Gemeinderat den Verkauf des einstigen Ratsschreiberhauses verhindert und die Bolando-Genossen, als einzige Bewerber, den Zuschlag für den Umbau erhalten.

Der baden-württembergische Staatssekretär Gundolf Fleischer, mit Wahlkreis in der Region, regte die Genossenschaftsgründung an. Acht Mitglieder machten vor dreieinhalb Jahren den Anfang. Öffentliche Werbung, Mund-zu-Mund-propaganda, die Flugblattzeitung »Bollschweiler bolando Nachrichten« und viel Überzeugungsarbeit brachten bei Einlagen von 500 oder 1000 Euro, schon in der Gründungsphase nahezu 200 Anteilszeichner und über 200 000 Euro zusammen. Ein Förderverein sammelte Unterstützergelder auch unterhalb dieser Beitragsgrenzen. Damals wurden die Projektkosten noch auf 610 000 Euro veranschlagt.

227 Mitglieder von Berlin bis Kalifornien zählt das »Bolando« aktuell. Seit mit der Eröffnung der Erfolg sichtbar wird, »kommen weitere dazu«, strahlt der engagierte Vorruheständler Dischinger. 273 500 Euro Genossenschaftsanteile sind bis kurz vor Weihnachten gezeichnet und 48 000 Euro durch ehrenamtliche Helferleistungen erbracht. Von den mittlerweile auf rund 750 000 Euro gestiegenen Gesamtkosten muss ein Drittel durch Kredite finanziert werden. 200 000 Euro steuern Land und Gemeinde aus dem Landessanierungsprogramm bei.

Der Ort gibt das Gebäude in Erbpacht auf 50 Jahre und 40 Prozent der Landessanierungsmittel, erklärt Bürgermeister Josef Schweizer, der mittlerweile überzeugt den »Hut vor Gemeinsinn und den Leistungen« seiner Bürger zieht. Er ist mit drei Anteilen dabei.

Nun sind Genossenschaftsgaststätten, wie in Kulmbach die Kommunbräu e.G. mit Brauerei und Bierwirtschaft oder die Musik-Kneipe Klappe e.G. in Regensburg »nichts Neues«, sagt der Freiburger Volkswirt und Genossenschaftsexperte Burghard Flieger. Dabei handele es sich um private Unternehmergemeinschaften, die diese demokratische Rechtsform für sich entdeckt haben. Dass Bürger eine Genossenschaft gründen, um für sich ein Dorfgasthaus herzurichten, sei jedoch »in Deutschland einmalig«.

Ohne Eigenleistung nicht zu schaffen

Mitinitiator und Zimmermannsmeister Ulrich Armbruster übernahm die Bauleitung. »Ich wusste, was man aus so einer alten Hütte machen kann«, erzählt der Sanierungsfachmann stolz. Er kannte die regionalen Handwerksbetriebe und dirigierte die ehrenamtlichen Bauhelfer. »Ohne Eigenleistungen hätte wir es nicht geschafft«, räumt er ein. Viele der beauftragten Firmen traten der Genossenschaft bei.

Stilwahrend bauten die organisierten Mitstreiter das rund 200 Jahre alte Scheunenhaus in ein einladendes Lokal mit modernen Holz- und Glaselementen um. Deckenbalken, Wand- und Bodenpaneele geben den großzügigen Räumlichkeiten historisches Flair. Wochentags arbeiteten die beauftragten Handwerker und samstags die Helfer, die für das Schuttwegräumen und Neuverfugen des einst »nassen, modrigen« Gemäuers, wie es Mangold auf den Punkt bringt, so manches Wochenende opferten, während die Nachbarschaft sie verpflegte – auf eigene Kosten und in der Freizeit.

Nun können hier seit Jahresbeginn Einheimische wie Gäste aus dem Großraum Freiburg und Touristen im Siebentagebetrieb badische und internationale Küche genießen, sich zum Sonntagsfrühstück, Kaffee, Kuchen, zur Bierrunde oder dem badischen Viertele Wein treffen. Eine Empore wird bei Bedarf zur Kleinkunstbühne. Im fachwerkumbauten Oberge-schoss gibt es weitere Sitzmöglichkeiten und einen abtrennbaren Raum für Familienfeste und separate Veranstaltungen.

Nach dem großen Engagement der Dorfbewohner bei Planung und Umbau starte nun der Wirtschaftsbetrieb, der sich »am Markt behaupten muss«, gibt Uschi Mangold zu bedenken. »Das wird eine große Umstellung.« Jetzt hätten nicht mehr nur die Mitglieder das Sagen über ihre Gaststätte, son-dern Betriebsleiterin Roswitha Ludwig, eine erfahrene Wirtin aus Freiburg. Dafür stehen ihr fest angestellte Mitarbeiter und Aushilfskräfte aus dem Dorf im Südbadischen zur Seite.

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