Rüttgers treibt SPD vor sich her

CDU-Ministerpräsident fordert Kurskorrektur bei Hartz IV und zwingt die Sozialdemokraten damit zum schnellen Handeln

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) verlangte am Freitag eine grundlegende Revision der Hartz-Reformen. Die SPD steht nun unter erheblichem Zugzwang. Denn wollen die Sozialdemokraten bei den NRW-Landtagswahlen im Mai nicht untergehen, müssen sie bis dahin den Bruch mit Hartz IV glaubhaft vollziehen.

Jürgen Rüttgers gilt als Virtuose unter Deutschlands Populisten. Wie kein Zweiter vermag es der Christdemokrat, sich wahlweise als gütiger Landesvater, Arbeiterführer oder rechter Demagoge zu präsentieren. Unvergessen sind seine Ausfälle gegen Arbeitsmigranten (»Kinder statt Inder«) oder vermeintlich faule Rumänen (»Kommen und gehen, wann sie wollen«). Am vergangenen Freitag gab »Volksschauspieler« Rüttgers den verantwortungsbewussten Sozialpolitiker. In einem Interview für die »Frankfurter Allgemeine« forderte er nichts weniger als eine »Grundrevision« der Hartz-IV-Gesetze. So sprach sich Rüttgers dafür aus, die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose zu verbessern. Außerdem sollen Betroffene, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit lange in die Sozialkassen eingezahlt haben, auch länger das höhere Arbeitslosengeld I erhalten. Rüttgers Sozial-Show mündete in der Forderung nach »mehr Kindertagesstätten, mehr Ganztagsplätzen und mehr Hilfen beim Wiedereinstieg in den Beruf«.

Zudem wandte sich der Ministerpräsident auch offen gegen die geplante Zerschlagung der Jobcenter: Ein Affront gegen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Schließlich stammt der Plan, die Kooperation von Bund und Kommunen in den Jobcentern streng zu trennen, aus ihrem Ressort.

Doch anstatt dem übereifrigen Parteikollegen Paroli zu bieten, verkündete von der Leyen am Montag: »Die Agenda 2010 ist vorbei.« Die Ministerin versprach der »Bild«-Zeitung, sie wolle nun »verbessern, was bei Hartz IV zu hastig umgesetzt wurde, wo Menschen durchs Netz gefallen sind«. Allerdings stellte die 7-fache Mutter klar: »Wer Geld von der Gemeinschaft bekommt, muss auch was dafür tun.« Demnach sollen Sanktionen gegen »arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger« konsequenter angewandt werden. Dabei wird schon jetzt so eifrig sanktioniert, dass den Behörden dabei unglaublich viele Fehler unterlaufen. So wurde gestern bekannt, dass im vergangenen Jahr mehr als jedes dritte Widerspruchsverfahren gegen einen Hartz-IV-Bescheid erfolgreich war. Eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit bestätigte ARD-Reportern, dass von Januar bis November mehr als 267 000 falsche Bescheide verschickt worden waren.

Während die Betroffenen seit Jahren unter den Folgen der schlecht gemachten Hartz-Gesetze leiden, schreckte die von Rüttgers losgetretene Debatte nun auch die SPD auf. Wie am Wochenende bekannt wurde, will sich die Partei noch vor den wichtigen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen auf einer Betriebsrätekonferenz im März »positionieren«. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sagte dem Nachrichtenmagazin »Spiegel«, man wolle Gewerkschaften und Arbeitnehmern vermitteln, »in welche Richtung wir beim Thema soziale Sicherheit gehen«. Dabei ist die Richtung klar – und die Hessen-SPD geht voran. Deren Vorsitzender, Thorsten Schäfer-Gümbel, will die Hartz-Reformen »vom Kopf wieder auf die Füße« stellen, wie die »Süddeutsche Zeitung« berichtete. Die Hessen werden dem Parteivorstand in Berlin am nächsten Wochenende ein Diskussionspapier vorlegen, das unter anderem einen »Anerkennungsbonus« für Arbeitslose vorsieht, die viele Jahre berufstätig waren.

Im Willy-Brandt-Haus ist man derweil bemüht, die Kehrtwende in kleinen Schritten zu vollziehen. Hauptsächlich, weil die Parteistrategen befürchten, die »Hartz-Partei« SPD könnte beim Wähler jedwede Glaubwürdigkeit verspielen, wenn sie sich Hals über Kopf zum größten Kritiker der Arbeitsmarktreformen aufschwingen würde. Aber die Zeit drängt: Denn bereits am 9. Mai wird in NRW gewählt. Chancen hat die SPD nur, wenn es ihr bis dahin gelingt, sich als die sozialere Alternative zur menschelnden CDU zu präsentieren. Der Vorstoß von Jürgen Rüttgers macht dieses ohnehin schwierige Unterfangen nicht einfacher.

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