Auf der Flucht

Staatsoperette Dresden: Emmerich Kálmáns »Gräfin Mariza«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Dem ungarischen Fremdenverkehr wird's schon recht sein, dieses Puszta- und Csárdás-Klischee, zu dem auch Emmerich Kálmán sein Operettenscherflein beigetragen hat. Zwar hatte sich das habsburgische Völkerfamilienmärchen schon längst aus der europäischen Geschichte verabschiedet, als Kálmáns auch heute noch ziemlich vitale ungarische Gräfin Mariza 1924 die Operettenbühne das erste Mal betrat. Aber das störte den Erfolg dieses späten Meisterwerkes der stets notorisch unterschätzten, immerhin noch silbernen Operetten-Ära nicht wirklich. Natürlich wirken vor allem die beiden »Komm«-Hits lebenserhaltend: »Komm mit nach Varasdin«, so macht der Baron Zsupán die Lisa an, die ihm wohl folgen wird. Und auch das »Komm, Zigan, komm Zigan, spiel mir was vor«, mit dem Tassilo die Zigeunergeigen aufspielen lässt, ist seine Komponisten-Anstrengung wert.

Weil man in der Staatsoperette Dresden in einem der ganz wenigen Spezialunternehmen des Genres am Werke ist, bekommt der geneigte Operettenfreund nicht nur seine Hits, mit (mehr oder weniger) Schmiss und Schmalz, geliefert, sondern unter der Leitung von Christian Garbosnik auch einen gut aufgelegten, süffigen Orchesterklang. Das spielfreudige Ballett gehört hier so selbstverständlich dazu wie auch eine ohne weiteres für jeden Zuschauer identifizierbare Szene für die Liebesgeschichte zwischen der Gräfin und dem Gutsverwalter, der sich am Ende nicht nur als echter Graf, sondern auch – dank rechtzeitig auftauchender und gut bemittelter Tante – als saniert herausstellt.

Regisseur Axel Köhler verrührt aber nicht nur diese klassischen Zutaten zu einer flott verwobenen Nummernfolge mit gekonnten Auftritten in schicken Roben und fesch geworfenen Damenbeinen – was nur da aus der Balance und dem emotionalen Rhythmus kommt, wo das etwas unterbelichtete Charisma von Marc Horus als Graf Tassilo dessen behauptete Anziehungskraft auf die attraktiv mondäne Mariza von Ingeborg Schöpf unglaubwürdig macht. Darüber hinaus aber hat Köhler die Geschichte, ohne Transportschäden zu verursachen, in die unmittelbare Gegenwart verfrachtet. Der Euro jedenfalls ist die Währung, in der spekuliert wird. Tassilo ist, wie man aus einer Meldung des österreichischen Rundfunks, die mal eben die Ouvertüre unterbricht, ein Wiener Finanzbankrotteur von heute, der sich nach Ungarn abgesetzt hat. Am Ende stellt sich heraus, dass die ganze Möchtegern-Adelsgesellschaft eine Ansammlung von Mafiapaten (und da sind sie ganz emanzipiert: -patinnen) ist. Sie werden zwar alle in einer aufwendigen GSG 7-8-9 Aktion hoppgenommen. Weil Mariza aber dem Kommissar auf Anhieb die richtige Bestechungssumme ins korrupte Beamtenohr flüstert und in der Operette außerdem sowieso immer die Liebe siegt, lässt er sie laufen.

Zum Happy End regnet es dann passend dazu rote Mohn-Blütenblätter auf die hochstapelnden Drogenbarone, Grafen, Fürsten und Handlanger. Und das Publikum jubelt.

Nächste Vorstellungen: 18., 19.2.

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