Verdeckter Krieg gegen »Störenfriede«

Regierungsbericht enthüllt Ausmaß der Geheimdienst- und Polizeitätigkeit beim NATO-Gipfel 2009

  • Frank Brendle
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel im April letzten Jahres einen wahren Großeinsatz absolviert. Ein Bericht des Bundesinnenministeriums an den Innenausschuss des Bundestages enthüllt neue Informationen über die umfangreiche Tätigkeit von Polizeien und Geheimdiensten.

Vom Verfassungsschutz wurden laut Bericht vor und während des NATO-Gipfels für das Innenministerium und andere Sicherheitsbehörden »Lagebilder und Gefährdungsanalysen erstellt und in der Zeit vom 23. März bis 5. April 2009 ein Lagezentrum eingerichtet«. Fast zeitgleich leitete er zusammen mit dem französischen Geheimdienst ein sogenanntes International Intelligence Center in Straßburg, wo weitere 17 ausländische Geheime wirkten. Die Deutschen erstellten »federführend internationale Lagebilder« für die NATO und ihre Mitgliedsstaaten. Auch die Sicherheitsüberprüfungen für das Servicepersonal, das bei den NATO-Veranstaltungen auf deutschem Boden engagiert war, fielen in die Zuständigkeit des Bundesamtes. Schließlich nahmen die Verfassungsschützer an zahlreichen Koordinierungsgesprächen teil, bei denen Sicherheitskonzepte entwickelt und abgestimmt wurden. Zu den Teilnehmern gehörten die zuständigen Ministerien (Äußeres, Inneres), das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, außerdem die baden-württembergische Landesregierung mitsamt ihrem Landes-Verfassungsschutz und Landeskriminalamt.

Der Bericht, der vorige Woche dem Innenausschuss zuging und kurz darauf im Internet landete, baut weiteren Fragen der Parlamentarier, was in diesen Gremien genau vorbereit wurde, allerdings vor: Über die Beratungen seien »keine gesonderten Aufschreibungen geführt worden«, heißt es. Auch über die Zahl der eingesetzten Verfassungsschützer wird nur geraunt, sie habe sich im »für derartige Großereignisse üblichen Maß« bewegt. Die Zusammenarbeit zwischen NATO, französischen und deutschen Stellen »im Bereich des personellen und materiellen Geheimschutzes erfolgte reibungslos und effizient«, bilanziert das Ministerium. Unter anderem hatte man herausgefunden, dass es »insgesamt 424 Mobilisierungsveranstaltungen« der linken Szene gegen den Gipfel gegeben hat.

Offenkundig war der NATO-Gipfel ein Anlass, die ganze Palette der europäischen Polizei- und Geheimdienstkooperation ins Gefecht zu führen. Denn auch das Bundeskriminalamt (BKA) war aktiv und unterhielt vor und während des Gipfels ein »Internationales Verbindungskräftezentrum« mit 15 Verbindungskräften aus elf Staaten sowie Interpol und Europol. Aufgabe: »Austausch aller im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel polizeilich relevanten Informationen.« Nicht untätig war auch die Bundespolizei, die mit 6820 Beamten im Einsatz war. Unter anderem verhinderten diese die Ausreise von 126 Menschen zu den Demos in Frankreich und tauschten munter dubiose »Gewalttäter«-Dateien aus. Obwohl zahlreiche Klagen hiergegen erfolgreich waren, behauptet der Bericht, die Grenzkontrollen hätten die Ausreise friedlicher Demonstranten »nicht eingeschränkt«.

Schlicht die Unwahrheit sagt das Innenministerium, wenn es angibt, das Technische Hilfswerk, das mit 890 Mitgliedern angerückt war, habe »keine französischen Polizisten mit Booten transportiert«. Das ist die Neuauflage einer alten, aber schon widerrufenen Falschbehauptung. Offenbar ist man im Ministerium vergesslich: Denn vor einem halben Jahr wurde der Linksfraktion auf beharrliches Nachfragen bestätigt, dass mindestens ein THW-Boot als Quasi-Hilfspolizei fungiert und acht französische Gendarmerie-Angehörige auf dem Rhein zu ihrem Standort in der Innenstadt transportiert hatte.

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