Lateinamerikas größte Dreckschleuder

Doe Run, Perus derzeit bekanntestes Unternehmen, verkauft Regierung, Arbeiter und Gläubiger seit Jahren für dumm. Umweltauflagen wurden nicht eingehalten, Kredite nicht zurückgezahlt und Versprechen reihenweise gebrochen

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Hüttenkomplex von Doe Run Perú vor der Kulisse verätzter Berge
Der Hüttenkomplex von Doe Run Perú vor der Kulisse verätzter Berge

Die mit vergilbtem Puderzucker überzogen wirken die Berghänge rund um die peruanische Andenstadt La Oroya. Nur einzelne Sträucher krallen sich in den unwirtlichen Untergrund, den der saure Regen blankgewaschen hat. »Hier wächst kaum mehr etwas. Eine Folge der jahrzehntelangen Luftverschmutzung, die auch noch etliche Kilometer entfernt zu spüren ist«, erklärt Vicente Nalvarte Surabía und deutet durch das Autofenster auf den von Schotter gesäumten schmutzig-braunen Fluss, den Mantaro.

Vor allem die Kinder leiden

Ein mächtiger Schornstein, das Wahrzeichen von La Oroya, taucht zwischen den steilen Felshängen auf. Der 169 Meter hohe Schlot dominiert die in einem Tal liegende Bergbaustadt, die sich rühmt, das Zentrum der Metallverarbeitung Perus und ganz Lateinamerikas zu sein. Gold, Silber, Kupfer, Blei und eine ganze Reihe anderer Metalle werden seit 1922 in der 3750 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Schmelze aus Gesteinskonzentraten gewonnen. Per Bahn werden die Rohstoffe herangekarrt und auf Schienen gelangen die fertigen Barren auch ins 180 Kilometer entfernte Lima, wo sie im Hafen von Callao verschifft werden. »Normalerweise steht dauernd eine Rauchsäule über dem mächtigen Schlot, denn es wird rund um die Uhr produziert«, schildert Nalvarte.

Doch seit rund einem Jahr ist nichts mehr normal in La Oroya. Im Februar letzten Jahres begannen die finanziellen Probleme bei Doe Run Perú, dem Betreiber der weitläufigen Schmelze und dreier dazugehöriger Metallraffinerien. Erste Arbeiter wurden entlassen, bis die Lieferanten in die Bresche sprangen und der Tochtergesellschaft eines USA-Konzerns aus der Patsche halfen. Eine Finanzspritze von 150 Millionen Dollar sollte dem Unternehmen, das Konzentrate aus etlichen Minen der Region verarbeitet, auf die Beine helfen.

Doch das Gegenteil war der Fall. Schon einen Monat später wurde in der Schmelze von La Oroya nur noch mit halber Kraft produziert. »Die Züge mit Konzentraten kamen nicht wie gewohnt und die Emissionen gingen langsam zurück«, erklärt Taxifahrer Edsón Huoranga. Er pendelt täglich zwischen der Provinzhauptstadt Huancayo und La Oroya. Schon öfter hat er den 55-jährigen Entwicklungsexperten Vicente Nalvarte in Lateinamerikas schmutzigste Stadt chauffiert.

Nalvarte arbeitet für die katholische Kirche und versucht den Menschen in La Oroya zu helfen. Vor allem die Kinder leiden unter den schwermetallhaltigen Emissionen aus dem mächtigen Schornstein. Über Jahrzehnte hat der Schlot Blei, Kadmium und Arsen in hoher Konzentration in die Luft geblasen. Was da in dicken Wolken aus dem Schornstein quoll, wusste niemand so ganz genau – bis ein Ärzteteam von der katholischen Universität Saint Louis in den USA anreiste und in La Oroya Blut-, Urin- und Bodenproben nahm.

»Die Ergebnisse waren erschütternd, denn kaum ein Kind in La Oroya hat normale Blutwerte«, erklärt Nalvarte. Drei- bis viermal pro Woche kommt er in die Stadt, um das Ernährungs- und Gesundheitsprogramm der katholischen Kirche zu koordinieren. Dessen Ziel ist es, wenigstens den Kindern zu helfen, denn Blei wirkt sich überaus schlimm auf deren Entwicklung aus. »Konzentrationsschwierigkeiten in der Schule, Atemwegs- und Hauterkrankungen sowie Kopfschmerzen sind die direkten Folgen der hohen Bleibelastung«, erklärt Dr. Hugo Villa.

Regierung übt sich in Kniefällen

Fast 30 Jahre lang hat Dr. Villa am Krankenhaus von La Oroya gearbeitet. Er ist ganz froh, dass der Schornstein derzeit nicht raucht. Eine Atempause für die rund 40 000 Menschen, die in der Bergbaustadt leben.

Doch ohne die Hütte läuft kaum etwas in der Stadt, denn mit 3500 Angestellten ist sie der wichtigste Arbeitgeber. Das war schon immer so, und entsprechend sauer sind die Arbeiter, dass die Manager des Bergbauunternehmens ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Eigentlich sollte die Hütte schon im November wieder angefahren werden, dann hieß es »Ende Januar«. Aber derzeit weiß niemand in La Oroya, ob der Betrieb alsbald wieder seine Tore öffnet.

Eine Schlappe auch für die Regierung in Lima. Die hatte im September letzten Jahres den Kniefall vor den Managern des Doe Run-Konzerns geprobt und erneut die Frist für die Erfüllung der Umweltauflagen verlängert. Weitere dreißig Monate hat Doe Run Perú nun Zeit, um die Installation der dritten und letzten Entschwefelungsanlage abzuschließen und damit die Emissionen zu verringern.

»Das war bereits 1997 Bedingung beim Erwerb der technisch längst überholten Anlage«, kritisiert Miguel Curi, einer der Mitbegründer der Gesundheitsbewegung von La Oroya. Er wohnt mit seiner Familie in der Altstadt – direkt gegenüber dem markanten Schornstein. Als seine Tochter vor gut fünf Jahren Blut zu spucken begann, wurde er aufmerksam und klagt heute gemeinsam mit einigen Dutzend Nachbarn vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, »Wir werden seit Jahren systematisch vergiftet, unsere Menschenrechte werden mit Füßen getreten«, klagt der Mittvierziger. Er plädiert für den Umzug der gesamten Stadt, denn in einem Radius von etlichen Kilometern ist alles von Schwermetallen verseucht. Doch dazu wird es kaum kommen, denn die Regierung ist für den Erhalt des Standorts und hofft anscheinend inbrünstig, dass Doe Run Perú die Mittel zusammenbringt, um die Produktion wieder aufzunehmen.

Einen »strategischen Partner« wollten sich die Manager von .Doe Run Perú ins Boot holen, um die technisch veraltete Schmelze wie- der in Gang zu setzen. Doch nichts ist passiert. Dahinter könnte Strategie stecken, denn bisher hat das Unternehmen die 3500 Arbeiter immer wieder für seine Interessen einspannen können. So wurden die Umweltlauflagen zweimal gestreckt und Ende Januar waren die Arbeiter wieder auf der Straße und demonstrierten für ihre Arbeitsplätze. Ob Doe Run Perú – wie Umweltorganisationen vermuten – die Regierung weiter erpressen will, damit auch Steuergelder für die Wiederaufnahme der Produktion fließen, ist unklar.

Selbst im alles andere als kritischen Branchenverband SNMPE ist Doe Run Perú unten durch. Am vergangenen Mittwoch wurde das Unternehmen aus dem Verband ausgeschlossen. »An der verfahrenen Situation hat sich aber nichts geändert. Die Glaubwürdigkeit des Unternehmens ist längst beschädigt. Wer gibt unter solchen Bedingungen die 500 Millionen US-Dollar, um die Hütte wieder flott zu machen?«, fragt Monseñor Pedro Barreto, der Bischof von Huancayo.

Seit Jahren kämpft der Jesuit für die Rechte der Bevölkerung. Er hat die Ärzte aus den USA nach La Oroya geholt und in Deutschland die Mittel für das Ernährungs- und Gesundheitsprogramm der Kirche losgeeist. Mehrfach ist er in Lima vorstellig geworden, um an die Regierung zu appellieren, die Umweltauflagen zum Schutze der Bevölkerung durchzusetzen. Ohne Erfolg. Nun steht die Regierung von Präsident Alan García vor dem Schutthaufen einer verfehlten Bergbaupolitik.

Seit der Schlot nicht mehr raucht

Letztlich könnte die Regierung auf einer veralteten Hütte mit hoch kontaminiertem Umland sitzen bleiben. Ein Szenario, das Bischof Barreto für recht wahrscheinlich hält. Und La Oroya ist nur die Spitze des Eisbergs, Fanal einer verfehlten Umweltpolitik. Daneben gibt es Cerro de Pasco, eine Provinzhauptstadt, die aufgrund eines Parlamentsbeschlusses komplett umziehen muss. Grund ist ein Bergbauunternehmen, das der Stadt auf der Suche nach Edelmetallen den Boden unter den Füssen wegzieht und das Trinkwasser verdreckt. Die Zeche zahlen auch dort die Bewohner.

»Mitbestimmung der Bevölkerung ist in Peru nicht vorgesehen«, kritisiert Entwicklungsexperte Vicente Nalvarte Surabía und schließt die Tür zur Gemeindeküche. Dort bereiten ein Dutzend Mütter nahrhaften Brei für ihre Kinder zu. Ziel ist es, die Kinder widerstandsfähiger gegen die Umweltbelastungen in La Oroya zu machen. Mit Erfolg, denn seit der Schlot nicht mehr raucht, sinkt der Bleipegel im Blut der Kinder langsam – ein günstiger Effekt einer rundum schlechten Unternehmensstrategie.

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