Die alte gute Schule

Dieter Meichsner tot

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Die letzten Jahre lebte der langjährige Hamburger Fernsehmensch Dieter Meichsner (Foto: E. Liebenow) im bayerischen Lenggries, ein im guten Sinne des Wortes Entrückter; in diesem Abstand ein noch immer witziger, bissiger, kluger Beobachter des politischen und medialen Betriebes.

Man stelle sich heute einen TV-Chef vor, den es arg plagt, die großen Literaten des Landes nicht fest ans Fernsehen gebunden zu haben. Eine edle, elitäre, geistvolle Plage – von gestern. Dieter Meichsner, 1968 bis 1991 Fernsehspiel–Chef des Norddeutschen Rundfunks, schrieb Kulturgeschichte – mit seinen eigenen Fernsehspielen und mit einer Auffassung von Administration, bei der Autorität vor allem als Impulskraft verstanden wurde, als Ermunterung zum Risiko. Leitung als Lust am Geist, der fragend in die Zeit dringt; was im Falle Meichsner vieles hervorbrachte, das den Zeitgeist empfindlich störte.

»Besuch aus der Zone« hieß das Fernsehspiel Meichsners von 1958, das zum parlamentarischen Ärgernis wurde: des Autors Spiel zur falschen Wirtschaftswunder- Seligkeit geriet zum Störfaktor der Bonner Politik. Als er später den TV-Film »Alma Mater« schrieb, kam der Protest diesmal von Links: In der Gewaltbereitschaft der Studentenbwegung sah Meichsner einen gefährlichen »sozialistischen« Übergriff von ideologisierter Emotion auf die Politik; jene Ratio und jenes aufbauerische Ideal sah er bedroht, Stoff seines frühen Romans »Die Studenten in Berlin«.

Der Begründer dessen, was man die Hamburger Schule nannte – ein Berliner übrigens –, verfilmte Fontanes »Stechlin«, er wurde zum Inspirator weiterer großer Literaturverfilmungen, er entdeckte Dieter Wedel und Wolfgang Petersen, und und »sein« NDR war 1970 federführend beim »Tatort«-Start; Meichsner selbst schrieb später Zollfahnder-Geschichten in Reihe: »Schwarz Rot Gold«.

Das Kennzeichen seiner Kunst: ein Dokumentarismus feinster Fügungen, ein Realismus der geradezu unbarmherzig peniblen Recherche – deren Ausdruck das bestechende Detail, deren Zweck aber immer der Zusammenhang war. Der Autor Meichsner: Pathos der Genauigkeit, aus dem die erschütternde Kraft der Einsicht ins Wesen gesellschaftlicher Prozesse erwuchs. 1995 schuf er in diesem Sinne den TV-Dreiteiler »Imken, Anna und Maria«: Wende-Folgen in einem sächsischen Industriegebiet. Spannung verlegt ins Eigentliche – das Alltagsleben der Menschen. Bisher hat kein Fernsehereignis diesem lakonischen Ernst folgen können. Ein Gegenwartsfilm, der in sich schon Vergangenheit war: zu undramatisch im Sinne äußerer Auffälligkeit und gröberer Bilddynamik.Was Meichsner fürs Fernsehen leistete, ist unwiederholbar. Als Tugend unwiederholbar vorbei.

Bereits am 1. Februar, vierzehn Tage vor seinem 82. Geburstag, ist Dieter Meichsner verstorben.

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