Bürgerliche Anti-Unions-Revolte
Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes und Leiter eines bayerischen Gymnasiums, ist jüngst der Kragen geplatzt. In einem Beitrag für die FAZ hat er seinem Unmut über die »Schulpolitik« der CDU Luft gemacht und der Partei die Leviten gelesen. Der Union wirft Kraus vor, ihr konservatives »schulpolitisches Profil« zugunsten einer »Gefälligkeits- und Beliebigkeitspolitik« aufgegeben zu haben. Nicht mehr die Union habe das Steuer in der Bildungspolitik inne, sondern ihr jeweiliger kleinerer Koalitionspartner. Regelmäßig beuge sich die Union dem »schulpolitischen Diktat der kleineren Koalitionspartner«, wie gerade wieder das Saarland und – »noch krasser« – Hamburg zeigten.
Was dabei herauskomme sei jedoch nichts anderes als eine »Sozialdemokratisierung der CDU-Schulpolitik«. Dahinter stecke ein »Machbarkeitswahn«, die Vorstellung nämlich, »allein mit unterrichtlichen Tricks alle Schüler zu Höchstleistungen« bringen zu können. Es sei jedoch »naiv zu meinen«, »zwölf Millionen Schüler in Deutschland warteten nur auf das Wahre, Schöne und Gute und der Unterricht sei schuld daran, wenn diese Erweckungserlebnisse nicht gelingen«. Deshalb ermahnt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes beide Unionsparteien, sich keine »einseitige Debatte über Bildungsgerechtigkeit« aufzwingen zu lassen, die »unter Missbrauch des Gerechtigkeitsbegriffs einer Egalisierung der Bildungsstrukturen« das Wort rede.
Kein Wunder, dass Josef Kraus Sympathie für die »bürgerliche Revolte« gegen die sechsjährige Grundschule in Hamburg empfindet. »Egalisierende Vorstellungen von Schulpolitik sind ihm ein Graus. In seinem revoltierenden Gestus erinnert Kraus' konservatives Pamphlet an die von Sloterdijk ausgelöste Debatte über Steuerpolitik. Teile der bürgerlichen Mittelschicht plagen offensichtlich derartig starke Statusängste, dass sie außer sich geraten und dem solidarischen Gemeinwesen den Kampf ansagen.
Der Autor ist parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater der Linksfraktion im Sächsischen Landtag.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.