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Oper entkernt

Rasche politisiert »Die Entführung aus dem Serail«

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Enorm, wie die Zeiten sich ändern. Der wegen seiner Chorprojekte respektierte Regisseur Ulrich Rasche schickt die gewöhnlich der Gattung Singspiel zugeordnete Mozart-Oper »Die Entführung aus dem Serail« auf die Bühne – ganz im heute so ernsthaft erscheinenden Stil der 90er Jahre. Er dekonstruiert – man möchte fast sagen: dekomponiert – das Werk radikal und unterlegt es mit einer reportagehaften Grundspannung, die die banale Brutalität einer Entführungssituation kristallinklar hervortreten lässt (bravo!) und der überkommenen Kunstform mit aller Macht den süßen Schmerz austreibt (brav gemacht).

Zu diesem Zwecke reduziert Rasche das gesamte künstlerische Personal auf zwei Musiker, einen für elektronische Sounds sorgenden Klangbastler, drei Sänger und eine Schauspielerin. Die befinden sich natürlich nicht in dem 1001-Nacht-Ambiente der Vorlage. Sie sitzen vielmehr weitgehend unbewegt in dem schwarz ausgeschlagenen kleinen Studio der Sophiensäle. Nüchterner geht's nimmer. Immerhin: Die Künstler spielen und singen brillant – wenn Rasche sie lässt.

Von der ursprünglichen Personnage sind nur die im orientalischen Harem sitzende Europäerin Konstanze, der befreiende Held Belmonte und der finstere blutrünstige Orientale Osmin übrig geblieben. Die Figur des aufgeklärten und edlen Türken, der im Wien des Wolfgang Amadeus Mozart eine sehr bekannte und geschätzte Erscheinung war, lässt Rasche jedoch weg. Ob dies allein aus ensemble-ökonomischen Gründen bzw. inhaltlich-konzeptionellen Erwägungen geschah oder einfach nur ein Ausdruck des heutigen Zeitgeistes ist, der aufgeklärte Orientalen zumindest nicht als Mediengestalt kennt, war nicht zu entschlüsseln.

Statt des bei Mozart am Schluss sensationell gnädig handelnden Bassa Selim führt Rasche in einer Sprechrolle die Figur der Susanne Osthoff ein. Das ist jene Weltenwanderin, die im Jahre 2005 als erste Deutsche in Irak entführt wurde und deren Schicksal auch durch eine unseriöse mediale Berichterstattung beeinflusst wurde. Kornelia Lüdorff bringt mit stockender Sprache, manchmal nur mit einem angstvollen Hauchen, dieses gefährdete Individuum der Jetztzeit in den historischen Opernkontext ein.

Das ist zunächst eine interessante Idee. Auch die Art und Weise, in der Rasche das Singspiel entkernt, hat etwas für sich. Norma Nahoun, Guillaume Francois und Till Schulze dürfen zum Gesang immer nur ansetzen. Dann übernimmt der Mann am Tonpult und schickt die Stimmen auf elektronische Schleifen. Dort dürfen sich Sänger und Musiker immer mal wieder einklinken. Sie treten gewissermaßen in einen Dialog mit ihren technisch gespeicherten und neu ausgesendeten Stimmen. Es entstehen reizvolle akustische Überlagerungen, die mal Lücken aufweisen, in die das Grauen des Ungesagten und Ungesungenen einbrechen kann, die sich im nächsten Moment aber wieder zu einem vielschichtigen Klanggebilde verdichten. Leider geht Rasche ein wenig zu selbstverliebt mit dieser schönen Methode um.

Beim zweiten Hinhören erweist sich bedauerlicherweise sogar sein Gesamtkonzept als fragwürdig. Die beiden Entführungen, die Rasche hier verknüpft, sind schließlich genau gegenläufig gerichtet. Will Belmonte seine Konstanze aus dem Serail des Selim entführen, in das sie durch ein Schiffsunglück gekommen ist, so wurde die Westeuropäerin Osthoff von einer irakischen Bande in ihre Gewalt gebracht. Kein libidinös aufgeladener Kommandeur Schönberg der GSG-9 versuchte sie von dort zu befreien; das unternahm das universelle Kommunikationsmittel Geld. Ulrich Rasche hat an diesem Abend also sehr disparate Folien übereinander geschichtet. Das beschädigt leider sein durchaus begrüßenswertes Vorhaben, die Klischees von Abend- und Morgenländern in der Musik auseinanderzunehmen.

Als ein konzertanter Essay ist dieser bis einschließlich Samstag zu erlebende Abend trotz dieser Mängel bemerkenswert. Und sei es nur deshalb, weil hier noch ein analytischer Furor wütet, der in den Nullerjahren weitgehend verschwunden ist, und der sich mit einer großen künstlerischen Kompetenz auf Seiten der Darsteller verbindet.

Die Entführung aus dem Serail, Sophiensäle, 12., 13.2., 21 Uhr Sophiensäle, Hochzeitssaal, Karten 13/8 Euro

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