PLATTENBAU

  • Michael Saager
  • Lesedauer: 3 Min.

Kieran Hebden ist etwas Besonderes. 1977 in Putney, London geboren, hat er für sein verhältnismäßig junges Alter bereits sehr viele bemerkenswerte Dinge getan: in der Band des befreundeten Folk-Sängers Adem Ilhan, deren bisweilen um die eigene Achse kreisende, raumgreifende Nu-Folk-Songs sich mit wenig vergleichen lassen; oder als Teil der mit elektronischen Beats arbeitenden Postrockgruppe Fridge. Hebden war Kooperationspartner des Jazz-Drummers Steve Reid, hat mit einem der interessantesten englischen Dub-stepper, mit Burial, gearbeitet und ist ob seines tüftlerisch-musikalischen Geschicks und seiner Offenheit für allerlei Sounds und Schulen ein gefragter Remixer und DJ.

Am bekanntesten ist freilich Hebdens Solo-Projekt Four Tet. Gerade ist die fünfte Platte erschienen. Sie heißt »There Is Love In You«. An wen er bei der Titelgebung wohl gedacht hat?

Die einen Tick zu spröde geratene Techno-EP »Ringer« aus dem Jahr 2008 deutete bereits die Richtung an, in die der Engländer mit seinem zuvor auf Freestyle (2-Step, Krautrock, Folktronic, psychedelischer Jazz: alles dabei seit 1999) angelegten Projekt in Zukunft gehen würde. Hebden war offensichtlich noch nicht fertig mit den geraden Beats, mit der Syntax von Techno, das konnte man hören.

Der Referenzkatalog, der sich angesichts der turmhoch geschichteten Hülle und Fülle von »There Is Love In You« in einer zwischen Weltverlust, Entfremdung und großer Liebe pendelnden melancholisch-melodischen Pracht à la Detroit entblättert, reicht von Derrick May über Juan Atkins' Projekte Model 500 und Infiniti zu Mike Banks; es groovt, schwebt und hüpft anspielungsreich von Theo Parrish über Moodyman zu Carl Craig. Auch an die superquirligen Stücke des Analog-Techno-Musikers Matthew Jonson mag man denken, oder an die Produktionen des auf maximale Deepness zielenden Berliner House-Labels Innervisions.

Ein wesentlicher Unterschied zum Clubsound der Gegenwart besteht indessen in der Beinahe-Absenz der Clubidee: Hebden ist vor allem ein hibbeliger Musiker mit hundert Ideen, kein disziplinierter Trackproduzent, der es zwingend auf den Dancefloor abgesehen hätte. Vielen DJs dürften diese Tracks hier zu wackelig sein, sich allzu handgemacht anhören. Was sie ja auch sind: Hebden setzt sich, unter anderem, gern ans Schlagzeug, um einen zwar flexibel gebauten, jedoch eher hölzern anmutenden Takt zu schlagen. Die Tracks knallen nach Clubmaßstäben nicht sehr doll. Auch der Bass ist selten besonders satt.

Stattdessen lässt es Hebden immer fantasievoll klöppeln und zischen und holpern und zwitschern und versteht sich darüber hinaus auf die hohe Kunst des loopbasierten Samples von roher Kraft – auch so eine Technik, die derzeit, von ein paar Ausnahmen abgesehen, etwas in Vergessenheit geraten ist. Entsprechend geschmackvoll sind die Vocals: melodische Ellipsen, die, tough, diskret und wunderschön zugleich, vielen Stücken die rechte (Detroit-)House-Grundierung geben. Und obwohl diese Stimmen eigentlich keine Geschichte erzählen, vermitteln sie genau diesen Eindruck: »There Is Love In You«. Wer wollte das bestreiten?

Four Tet: There Is Love In You (Domino / Indigo)

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