Weniger rechtsextreme Gewalt zu verzeichnen

Opferberatungsstelle zählte 102 Übergriffe für 2009 / Zahl rassistischer Attacken jedoch weiter auf hohem Niveau

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zahl gewalttätiger Übergriffe in Berlin mit einem rechtsextremen, antisemitischen, homophoben oder rassistischen Hintergrund ist rückläufig. Für das Jahr 2009 zählte die Opferberatungsstelle Reach Out bisher 102 solcher Angriffe. Im Vorjahr waren es dagegen noch 148 Gewalttaten und massive Bedrohungen gewesen. »Das ist erfreulicherweise ein enormer Rückgang um ein Drittel«, sagte Sabine Seyb von Reach Out gestern bei der Vorstellung des Jahresberichts.

Dennoch sieht die Opferberatungsorganisation keinen Grund für eine Entwarnung. Zumal es in den vergangenen Jahren häufiger ähnliche kurzzeitige Rückgänge rechter Übergriffe gegeben habe. Außerdem zeige die Erfahrung, so Seyb, dass sich Opfer häufig erst später melden würden, so dass durchaus noch eine Reihe von Nachmeldungen von Übergriffen für 2009 zu befürchten sind. Generell sei die Dunkelziffer hoch, da sich viele Opfer weder melden noch die Angriffe bei der Polizei zur Anzeige bringen würden.

Das größte Problem waren 2009 in Berlin gewalttätige Übergriffe mit einem rassistischen Hintergrund: 53 solcher Übergriffe gab es im vergangenen Jahr, 2008 waren 68 rassistische Attacken gezählt worden – der Rückgang in diesem Teilbereich fiel also signifikant weniger stark aus, als etwa bei Angriffen auf Linke. Das mag auch mit der Täterstruktur bei rassistischen Übergriffen zusammenhängen. »Wir haben es hierbei oft nicht mit Tätern aus der organisierten rechtsextremistischen Szene zu tun, sondern mit ›ganz normalen‹ Personen, die ihre rassistischen Einstellungen gewalttätig zum Ausdruck bringen«, hat Sabine Seyb beobachtet.

Als Beispiel schilderte sie den Fall eines Taxifahrers, der im September 2009 urplötzlich bei einer Fahrt in Wedding von einem Fahrgast mit der Faust geschlagen wurde. Nur durch den beherzten Eingriff eines anderen Autofahrers konnte der Übergriff beendet werden. Gegenüber der Polizei äußerte sich der Angreifer im Anschluss in rassistischer Manier über den Taxifahrer und bekundete Tötungsabsichten.

Viele dieser Angriffe aus fremdenfeindlichen Motivationen finden offenbar eher spontan im öffentlichen Raum statt – oftmals an Wochenenden. Der generelle Rückgang gewalttätiger Übergriffe spiegelt sich auch auf der alten Bezirksstrukturebene wieder, die Reach Out noch anwendet: Spitzenreiter bleibt demnach wie 2008 Friedrichshain (17 Übergriffe), erstmals gefolgt von einem Westbezirk, nämlich Wedding (9), dann kommen Mitte, Prenzlauer Berg und Treptow mit jeweils sieben Angriffen, und Pankow und Neukölln mit je sechs Attacken.

Dass Friedrichshain derart heraussticht, hat vor allem mit den Kneipenmeilen zu tun und den dort liegenden Umsteigebahnhöfen Ostkreuz, Warschauer Straße und Frankfurter Allee – an denen ein Großteil der Übergriffe stattgefunden hat. »Zudem war die Diskothek Jeton Ausgangspunkt vieler Übergriffe«, sagte gestern Heike Weingarten vom Friedrichshainer Register. Einer Organisation, die rechte Übergriffe im Ostberliner Stadtteil dokumentiert und dadurch versucht, die Bevölkerung für die Problematik zu sensibilisieren.

In fast allen Ostbezirken Berlins gibt es solche Dokumentationsstellen inzwischen. Auch sie präsentierten gestern wie Reach Out ihre Jahresergebnisse. Ihr Fazit: flächendeckend konnte ein Rückgang rechtsextremer Übergriffe festgestellt werden. Zudem sind Teile der rechten Szene inaktiv. Die Propagandatätigkeit solcher Gruppierungen und Parteien blieb aber auch 2009 weiter hoch.

www.reachoutberlin.de

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal