Wolfsprinzip im Haushaltsstreit

In Sachsen wächst der Protest gegen Kürzungen im Sozialbereich. Und es beginnen die Verteilungskämpfe

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
In Sachsen stehen harte Debatten um den Sparkurs der CDU/FDP-Regierung bevor. Gestern protestierten Vertreter von Jugend- und Sozialverbänden vorm Landtag. Lokalpolitiker spielen derweil Jugendliche gegen Wölfe aus.

Lupus est homo hominem, schrieb der römische Dichter Plautus: Dem Menschen ist der Mensch ein Wolf. In Sachsen muss die Redewendung nun umgeschrieben werden: Auch dem Wolf ist der Mensch ein Wolf – besonders wohl, wenn er in Gestalt von Kommunalpolitikern auftritt. So fordern zwei Landräte und drei Rathauschefs in der Lausitz, die Gelder für Wolfsprojekte in der Region zu streichen. Deren Mitarbeiter beobachten die zuletzt sechs in der Lausitz ansässigen Wolfsrudel, kümmern sich um Kontakte zu den Landwirten, denen hin und wieder Schafe gerissen werden, oder veranstalten Projekttage für Schüler.

Ein leeres Holzgerüst

Den Kürzeren sollen die Wölfe nach Ansicht der Lokalfürsten gegenüber Jugendlichen der Region ziehen. Angesichts hoher Steuerausfälle streicht der Freistaat derzeit im Bereich der Jugend- und Sozialarbeit. Die Jugendpauschale von 14,30 Euro pro Kopf, die an die Kommunen überwiesen wird, soll um ein Drittel gekürzt werden. Viele Vereine und Träger fürchten, ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen zu können. In Zeiten derart knapper Kassen, so Bautzens CDU-Landrat Michael Harig, seien Jugendliche »erst einmal wichtiger als Wölfe«.

Während auf diese Weise bereits

die Verteilungskämpfe um die zunehmend knapper werdenden Mittel beginnen, protestierten vor dem Landtag in Dresden gestern rund 4000 Betroffene gegen die Sparpläne – ironischerweise vor einem noch leeren Holzgerüst. An dem neun Meter hohen Gestell wollen Landtagspräsident und Staatskanzleichef heute zum Gedenken an den 20. Jahrestag der Gründung des Freistaates ein Transparent enthüllen: »Hier bestimmen Sie.«

Gestern war der Rahmen leer – Sinnbild dafür, wie stark die Demonstranten noch mitbestimmen können. CDU-Sozialministerin Christine Clauß, auf Plakaten gestern als »Graus« bezeichnet, verteidigte erneut den Kahlschlag in ihrem Ressort, in dem dieses Jahr mit 25 Millionen Euro ein Großteil der frei verfügbaren Mittel gestrichen werden sollen. CDU-Fraktionschef Steffen Flath hatte die Ankündigung noch massiverer Streichungen von jeweils 1,7 Milliarden Euro in den nächsten Jahren mit der nüchtern-achselzuckenden Feststellung verbunden, es werde massive Proteste geben. Ein Einlenken ist jedoch offenbar nicht vorgesehen.

Die Opposition nennt die Kürzungen, gegen die Gewerkschaften ebenso wie Wohlfahrtsverbände, kirchliche Träger oder Frauenorganisationen mobil machen, planlos. Sie weist darauf hin, dass 2010 zwar unter anderem bei der Jugendarbeit starke Einschnitte anstehen, die Gelder für den Straßenbau aber nicht nur in geplanter Höhe ausgegeben werden, sondern wegen explodierender Kosten bei Mammutprojekten wie dem Leipziger City-Tunnel und der Dresdner Waldschlösschenbrücke wohl aufgestockt werden müssen – zu Lasten etwa des Nahverkehrs. Die SPD hat inzwischen einen runden Tisch zum Thema Finanzen angeregt, auf dem sich die Landespolitik über Unverzichtbarkeiten und Prioritäten verständigen solle. Im Landtag versuchte die Opposition gestern noch einmal, die Kürzungen im Sozialresort abzuwenden, gegen die zuvor von den Demonstranten auch 25 000 Protestunterschriften übergeben worden waren. LINKE und SPD forderten in einem gemeinsamen Antrag, die »so in keiner Weise hinnehmbaren« Einschnitte zurückzunehmen und auch Suchthilfe, Beratungsangebote und das Freiwillige Soziale Jahr vor schwerwiegenden Einschnitten zu bewahren. In einem eigenen Antrag verlangten die Grünen, die Kürzungen zunächst bis zur Steuerschätzung im Mai auszusetzen.

Tillich wird herbeizitiert

In der Debatte nannte es Annekatrin Klepsch von der LINKEN eine »Farce«, dass bei der Jugendhilfe mit 7,7 Millionen Euro etwa so viel Geld eingespart werden soll, wie in den Ministerien durch die Schaffung neuer Posten an zusätzlichen Kosten entsteht. Bei einigen Trägern führten die pauschalen Kürzungen »direkt und mittelfristig in die Insolvenz«. Danach wurde die Debatte unterbrochen, weil auf Antrag der LINKEN zunächst der bis dahin abwesenden Ministerpräsident Stanislaw Tillich sowie Finanzminister Georg Unland herbeizitiert werden mussten.

Für die Wölfe in der Lausitz hat sich die Lage im übrigen zunächst entspannt. Deren Schutz sei »unsere Pflicht«, beschied Umweltminister Frank Kupfer (CDU) seine Parteifreunde in der Region. Das gelte vor allem für die Landkreise als untere Naturschutzbehörden, erinnerte er. Womöglich sind die Wölfe dennoch verärgert: Wie gestern in der »Sächsischen Zeitung« gemeldet wurde, ist ein Wolf in der Umgebung von Görlitz gesichtet worden – wo ein beteiligter Landrat und ein OB ihre Amtssitze haben.

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