Maß und Musikalität

Leipzig: Zwei Ausstellungen zum Achtzigsten von Arnd Schultheiß

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Leipzig war mit der sogenannten »Leipziger Schule« letzthin immer als Stadt der Maler im Gespräch. Dabei vergisst man leicht, wie stark das künstlerische Milieu gerade dieser Stadt von grafischer Maßgabe und Auffassung geprägt ist. Die zeichnerisch-grafische Komponente ist selbst für das Schaffen der malerischen Leitfiguren Heisig, Mattheuer, Tübke bestimmend. Auch der Ur-Leipziger Arnd Schultheiß, der am 22. März 80 Jahre alt wird, sieht sich als einen »Zeichner von Geburt«. Ein unbeirrt verfolgter gerader Weg führte über frühe Zeichenstudien und ein im Wesentlichen von Elisabeth Voigt geprägtes Hochschulstudium zu einem stillen Wirken in der Kunstszene. Eine Meisterschaft im Aufspüren des Menschenbildes in Porträt und Bewegungsskizze und im abstrahierenden Erkunden flächiger Strukturen wuchs da mit den Jahren. Mit nobler Würde verfolgte er ganz ernsthaft das Ziel, sich und die »wahrgenommene Umwelt in ein ausbalanciertes Verhältnis zu bringen«. Das notiert er zwar erst 1991, es bestimmt sein Tun jedoch von Anfang an. »Die Linie integriert und poetisiert«, setzt er fort. Also ist die mal hypersensibel ertastete, ein andermal konstruktiv bestimmende Linie sein bevorzugtes Ausdrucksmittel. Nach Erscheinen von »Resümee I, II und III« (ein Text- und zwei Bildbände) zeigt er nun in zwei kleinen Ausstellungen Teile des Lebenswerks.

»Begegnung mit Apoll« nennt er die auf den Gängen der Hochschule für Telekommunikation im Leipziger Süden zu sehende Exposition. 1955 bis 2001 waren über 300 großformatige Collagen entstanden. Leicht ironisch bekennt er sich darin zu Apoll, dem für die Musen zuständigen Gott der Ordnung und Klarheit. Oskar Schlemmers Leitgedanken, Zahl, Maß und Gesetz als Barriere gegen das Chaos zu begreifen, machte er sich gerade in dem besonders Ende der 60er Jahre kulminierenden Collagenwerk zu eigen. Kurios zu beobachten, wie er das Rohmaterial der damals in jedem Papierladen zu kaufenden »Mappen für den Werkunterricht« nutzt. Er kombiniert daraus flächige Strukturen mit linearen Schrägen und dunklen Ballungen in vornehm distanzierter Farbkultur. Menschlich-Figürliches durchpulst jeweils die abstrakte Komposition. Es kommt ins Bild, was dogmatisch erstarrt ist oder erotisch aufgeladen.

Er ist ein Bildidee-Fetischist, der sich der Sprache eher als Interpret und Mittler für andere Künstler bedient. Etwa jüngst wieder in verehrender Rede anlässlich der Max-Schwimmer-Ausstellung im Museum der bildenden Künste. Nebenbei hatte die Collagetechnik einen Nebeneffekt in der Nutzung ihrer Gestaltungsprinzipien für baugebundene Wandgestaltungen zu DDR-Zeiten. Vieles davon ist zerstört, nur einiges erhalten. Unübersehbar bleibt nach wie vor die Außengestaltung der Büchertürme für die Deutsche Bibliothek. Nebenbei: Seinerzeit hat Schultheiß als Fachgutachter für ähnliche Projekte aus dem Kollegenkreis bis zum Niederlegen aller Ämter 1988 eine enorme Wirksamkeit gehabt.

Einem eher intimen, umso intensiveren Wirkungskreis sind seine Musiker-Skizzen verpflichtet. »Studien aus dem Konzertsaal« nennt das Stadtmuseum Leipzig die Überschau in seinem Kellergeschoss. Dreißig Blätter, eins zarter als das andere. Von enormer Ausstrahlung dennoch. Vaclav Neumann oder Gerhard Bosse, Kurt Masur oder Leonard Bernstein, Mimik und Gesten des in sich gekehrten Sinnens. Die Sekunden des Innehaltens sind der Moment, da der Stift des Zeichners einsetzt. Weniger der ekstatische Ausbruch als das Hineinhören in die nur spürbare Tonwelt der Musik ist sein Thema. Mehr pianissimo als furioso. Wenn die Bewegung stimmt, darf ganz selbstverständlich ein Arm ohne Hand enden. Vollendung als Perfektion ist Schultheiß’ Sache nicht. Seine Modelle, die großen Interpreten, zeichnen sich durch sparsamste Zeichengebung aus – welches Beispiel für den Nachzeichner ihres Wesens! Schön zu beobachten, wie viele Gewandhaus-Abonnenten schon am Tag nach der Eröffnung die kleine Kellertreppe hinabstiegen, um das in Augenschein zu nehmen. Während nebenan im Riesenklotz des Bildermuseums leider gähnende Leere herrschte.

Arnd Schultheiß. Begegnung mit Apoll. Hochschule für Telekommunikation. Gustav-Freytag-Straße 43/45, Leipzig. Bis 15.3., Mo-Fr 9-17 Uhr

Arnd Schultheiß. Studien aus dem Konzertsaal. Stadtgeschichtliches Museum Leipzig. Böttchergässchen 3, Leipzig. Bis 25.4., Di-So 10-18 Uhr. Hier erhältlich die Resümeebände I, II, III, je 10 €. Am 17.3. und 14.4., jeweils 17 Uhr, Führung mit Alrun Tauché und Arnd Schultheiß

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