Auf dem Weg zum Niedriglohnland

FDP-Thesenpapier über Zukunft des Sozialstaates konkretisiert die Vorgaben des Koalitionsvertrags

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn die FDP zu einem Symposium über die »Neuausrichtung des Sozialstaates« einlädt, dann ist Vorsicht geboten. Und wirklich: Bevor die Veranstaltung im Berliner Thomas-Dehler-Haus am Mittwoch beginnen konnte, präsentierten die Liberalen ihr Thesenpapier für einen »fairen Sozialstaat«. Das siebenseitige Papier hat es in sich.

Schon in seiner Eröffnungsrede im Großen Saal des Thomas-Dehler-Hauses warnte FDP-Generalsekretär Christian Lindner die angeblich leistungsunwilligen Hartz-IV-Betroffenen: »Die Solidarität der Mitte ist eine wertvolle Ressource«, die dürfe man nicht verschwenden. Wie man zukünftig diese Ressource besser schützt, weiß Lindern auch. Zusammen mit drei FDP-Bundestagsabgeordneten hat er ein Thesenpapier erarbeitet, dass den kämpferischen Titel trägt: »Aufstiegschancen schaffen – auf dem Weg zum fairen Sozialstaat«.

Erstmals legt die Partei hier öffentlich dar, wie sie sich den in letzter Zeit viel diskutierten Umbau des Sozialstaates vorstellt. Grundlage für die Überlegungen ist der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag. Dort ist unter dem Kapitel 7.2 »Grundsicherung« bereits von besseren Hinzuverdienstmöglichkeiten und Pauschalisierungen von Leistungen für Hartz-IV-Betroffene die Rede. Während das Vertragswerk aber sehr vage bleibt, macht die FDP nun Nägel mit Köpfen.

Da die »Anreize für die Aufnahme einer gering bezahlten Arbeit« zu schwach seien, sollten die Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Betroffene verbessert werden, fordern die Autoren des Papiers. Bislang dürfen Langzeitarbeitslose neben ihrem Regelsatz von 359 Euro maximal 100 Euro im Monat anrechnungsfrei dazuverdienen. So bald ihr Lohn diese Betragsgrenze übersteigt, werden 80 Prozent des Entgelts auf den Regelsatz »angerechnet«, also einbehalten. Verdient der Betroffene mehr als 800 Euro pro Monat hinzu, kassiert das Amt sogar 90 Prozent. Dass man Arbeitslose so demotiviert, ist offensichtlich. Doch anstatt das ganze System einer grundlegenden Reform zu unterziehen, will die FDP die staatlichen Subventionen für billige Arbeitskräfte noch unternehmerfreundlicher gestalten.

Und so gehts: Der Freibetrag soll auf 40 Euro abgesenkt werden. Danach muss der Arbeitslose eine Durststrecke überwinden: »Zwischen 40 und 200 Euro wird das Einkommen mit dem ALG II komplett verrechnet«, heißt es im FDP-Papier. Wer also zukünftig am Wochenende für ein paar Stunden Zeitungen austrägt, wird mit 40 Euro abgespeist.

Wer aber mehr als 200 Euro und weniger als 400 Euro verdient, darf 40 Prozent anrechnungsfrei behalten. Wer noch mehr arbeitet und dabei unter 1000 Euro bleibt, erhält 50 Prozent seines Zusatzverdienstes. Parallel dazu sollen die Sozialabgaben für Geringverdiener gesenkt werden. Dazu gehöre auch die anstehende Gesundheitsreform, unterstreichen die FDP-Autoren. Die vom liberalen Gesundheitsminister Rösler forcierte Reform sieht unter anderem die Einführung einer Kopfpauschale vor. Ein Geringverdiener zahlt dann genauso viel für die Krankenkasse wie ein Unternehmer. Reicht sein Geld nicht, springt der Staat ein. Schöne neue, liberale Welt. Sollte sich die FDP mit ihrem Zuverdienst-Modell durchsetzen, dann dürften die Löhne noch stärker unter Druck geraten.

Eine weiterer Meilenstein in der liberalen »Neuausrichtung« des Sozialstaates ist die geplante Pauschalisierung der Hartz-IV-Unterkunftskosten. Wo der Koalitionsvertrag schwammig bleibt, wird die FDP konkret: Die Hartz-IV-Betroffenen sollen je nach Region eine Pauschalsumme für Miete und Heizung erhalten. So können sie frei entscheiden, »zu welchen Preisen sie Wohnraum und Heizbedarf erwerben wollen«, steht im Papier zu lesen. Dass die Heizkosten in einem harten Winter schnell mal aus dem Ruder laufen, ficht die Liberalen nicht an. Bleibt die Wohnung halt kalt.

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