• Kultur
  • Beilage zur Leipziger Buchmesse

Starke Weiber

FRAUENPORTRÄTS

  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 4 Min.

An der Spitze der deutschen Bundesregierung steht seit einigen Jahren eine Frau. Ein gewaltiger Fortschritt, wenn man bedenkt, dass vor etwas mehr als 100 Jahren Frauen in Deutschland keine höhere Schule besuchen konnten und vom Universitätsstudium ausgeschlossen waren. Für sie galten die drei »K«: Kirche, Küche, Kinder.

Die Emanzipation des weiblichen Geschlechts gedieh in den letzten 150 Jahren unter den Bedingungen der wachsenden Industrialisierung zu einem zähen Ringen mit Vorurteilen und Abwehr. Trotz erstaunlichen Erfolgs bekleiden heute Frauen noch bzw. wieder viel zu selten Führungsämter. Die Mehrzahl der entscheidenden Schlüsselpositionen in Politik und Wirtschaft werden nach wie vor von Män- nern eingenommen Der weibliche Zugewinn vollzieht sich auch in der Gegenwart trotz entsprechender Qualifikation im sprichwörtlichen Schneckentempo. Obendrein erhalten Frauen und Männer bei gleicher Arbeit in vielen Bereichen der Bundesrepublik unterschiedlichen Lohn. »Leistung muss sich wieder lohnen«, tönt aktuell ein Politiker. Wessen Leistung meint er?

In den letzten Jahren gab es eine Fülle von Publikationen, die sich der Rolle der Frau in der Gesellschaft widmen. Tendenz steigend. In fast jedem Bundesland erschienen zudem Biografien, die das verdienstvolle Wirken von Frauen in Geschichte und Gegenwart der Region beleuchten. Die Schwerpunktsetzung ist sehr unterschiedlich. Die Auswahl erfolgt oft willkürlich und spiegelt selten die ganze Bandbreite dessen, was Frauen in den vergangenen Jahrhunderten außerhalb der drei »K« in vielen Bereichen leisteten. Auch der von Antje Leschonski herausgegebene Band enthält einige Lücken.

Das Buch, an dem mehrere Autoren mitwirkten, schlägt den Spannungsbogen von der Reformationszeit bis ins Jahr 2007. Das sind rund 500 Jahre Frauengeschichte. Die Beiträge reflektieren im Spiegel der Gegenwart die unterschiedlichen Befindlichkeiten, Visionen und Verdienste von Frauen in ihrer gesellschaftlichen Einbindung. Hiesige Lücken ergeben sich wohl nicht nur aus der Quellenlage. Überproportional vertreten sind kirchliche Persönlichkeiten. Erfreulicherweise findet auch starke Berücksichtigung der Widerstand von Frauen während der Nazizeit, allerdings nur aus dem bürgerlichen Lager und nicht aus dem doch sehr starken linken. Ebenso vermisst man hier die nicht wenigen weiblichen Pioniere in den Naturwissenschaften.

Aber dieser Eindruck sollte die Freude bei der Lektüre nicht schmälern, zumal die große Mehrheit der vorgestellten Frauen über alle Konfessionen und politischen Orientierungen hinweg Respekt abnötigt. Das gilt für die Kürfürstin Elisabeth von Brandenburg, die gegen den Willen ihres Mannes zur Lutherlehre wechselte, aller Verfolgung trotzte und für ihren Glauben ins unbequeme Exil ging, für die Hebamme Justine Siegmund, die im 17. Jahrhundert die Geburtshilfe revolutionierte, ein entsprechendes Fachbuch verfasste und deshalb von männlichen Medizinern diffamiert wurde, und für die Agrarpionierin Helene Charlotte von Friedland, die im 18. Jahrhundert als Schülerin von Albrecht Daniel Thaer die Landwirtschaft ihrer Region zu neuen Ufern führte.

Dazu gesellen sich die Frauenrechtlerinnen Minna Cauer, Emma Ihrer sowie Lily Braun, die in der wilhelminischen Zeit für die Emanzipation der Frauen kämpften, die Malerin Anna Dorothea Therbusch, die in friderizianischer Ära in die Wiener, Pariser sowie Berliner Akademie aufgenommen wurde, was einem Ritterschlag für diese Frau gleichkam, und die Dichterin Gertrud Kolmar, die mit ihrer Lyrik die Natur, den braunen Zeitgeist sowie das jüdische Verfolgungsschicksal thematisierte und dafür von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet wurde.

Hervorzuheben sind ebenso die Patriotin Eleonore Prohaska, die als Jäger August Renz im Lützower Freikorps gegen Napoleon kämpfte, Melli Bee-se, die erste weibliche Pilotin Deutschlands, die Luftfahrtgeschichte schrieb, und Libertas Schulze-Boysen, die an der Seite ihres Mannes den aktiven bürgerlichen Widerstand gegen die Nazis betrieb. Nicht vergessen wurden Maxie Wander, die in der DDR literarisch auf neue Art Frauenschicksale erschloss, vor allem Regine Hildebrandt, die nach der Wende als beliebteste Politikerin des Ostens mit ihrer Wortgewalt zur Dauermahnerin gegen soziale Kälte avan- cierte.

Den Leser erwarten auch weniger bekannte Namen und viel bisher Unveröffentlichtes. Zu dieser Zeitreise kann nur ermuntert werden.

Antje Leschonski: Anna, Lily und Regine. 30 Frauenporträts aus Brandenburg-Preußen. Verlag für Berlin-Brandenburg. 160 S., geb., 14,90 €

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