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Auch nur eine Hauptstadt
Die Berliner Musikerin Masha Qrella legt mit »Songbook« ein neues Album vor. Ein Gespräch über künstlerische Herausforderungen und mediale Rezeption
Ihr neues Album ist eine bunte Collage aus Coversongs, Eigenkompositionen und Lyrik-Vertonungen – und damit auf den ersten Blick das Gegenteil Ihres Konzeptalbums »Woanders«, auf dem Sie Gedichte des bekannten Dichters Thomas Brasch vertonten.
Das stimmt. Die Frage war tatsächlich, was mach ich jetzt nach »Woanders«. Und während ich mich fragte, was ich jetzt machen könnte, war ich aber eigentlich die ganze Zeit schon dabei, Stücke zu schreiben und aufzunehmen. Eigentlich wie immer, weil ich als Musikerin eben auch von Auftragsarbeiten lebe. Ich schreibe manchmal für Film, manchmal fürs Theater, mache Hörspiele. Oder ich treffe mich mit Kolleg*innen – in dem Fall Michael Mühlhaus –, um für eine nächste, nicht in Aussicht stehende Auftragsarbeit schon mal was zu produzieren. Oder ich quäle mich im Auftrag der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt wie eine Schülerin im Deutschunterricht durch Novalis-Texte, und plötzlich finde ich in der Übersetzung ins Englische einen Weg, das zu vertonen. Irgendwie entsteht unterm Radar ja immer Musik.
Was reizt Sie generell daran, Werke oder Songs anderer Künstler*innen zu adaptieren oder zu covern?
Tatsächlich wünschte ich, dass ich die nötige Zeit hätte, über ein neues Konzeptalbum oder ein komplettes Album mit Eigenkompositionen auch nur nachzudenken und über einen längeren Zeitraum stringenter an einer Sache zu arbeiten. Aber in so einen Zustand zu kommen, ist gar nicht so einfach. Zwischen Familienalltag, Auftragsarbeiten und auch in der jetzigen gesellschaftlichen Situation empfinde ich Zeit als Luxus. Gleichzeitig bin ich auch immer wieder total froh über Aufträge, dank derer ich ja auch Geld verdiene und die mich aber aus meinem eigenen Kosmos beamen und Dinge anschauen lassen, die ich sonst nicht sehen würde. Die ersten zwei Jahre nach »Woanders« hatte ich einen tollen Auftrag nach dem anderen und dann hörte die Nachfrage wieder auf und dann kam erst mal nichts mehr. Damit war klar: Ok, da muss ein neues Album her, und dann gerät man auch schnell unter Druck.
Was genau ist das für ein Druck?
Ich finde allgemein, dass die Anforderungen an Künstler*innen heute sehr groß sind. Man muss ein Allrounder sein, und das bin ich eigentlich nicht. Ich tauche gern in Dinge ein und blende alles andere aus. Künstlerische oder kreative Arbeit ist für mich eigentlich eine sehr introvertierte Angelegenheit. Eine Veröffentlichung oder ein öffentlicher Auftritt sind genau das Gegenteil. Man muss ständig im Modus switchen. Es ist mittlerweile total selbstverständlich, dass man nicht nur die Platte, sondern auch Artwork, Videos, Fotos, Newsletter, Webseiten, Geschichten und Texte liefern muss. Das kostet enorm viel Zeit. Da steht der Input manchmal in keinem Verhältnis zum Output.
Masha Qrella wurde 1975 in Ost-Berlin geboren und galt in den 90er Jahren als eine Protagonistin der Berliner Post-Rock-Bewegung. Für das Hebbel am Ufer in Berlin vertonte sie ein Gedicht Heiner Müllers und eine Kurzgeschichte von Einar Schleef. Zusammen mit der Regisseurin Diana Näcke und der Dramaturgin Christina Runge nahm sie das Hörspiel »Woanders – in Auseinandersetzung mit Texten von Thomas Brasch« auf, das von der Akademie der Darstellenden Künste zum Hörspiel des Monats Februar 2021 gewählt wurde. Zuletzt erschien das Album »Songbook« beim Label Staatsakt, bei dem sie seit 2019 unter Vertrag steht.
Sie sind ja bereits seit Mitte der 1990er Jahre musikalisch aktiv. Haben sich die beschriebenen Herausforderungen in dieser Zeit verändert oder verschärft?
Ja, ich finde schon. Ich erinnere mich, dass wir mit Contriva (Qrellas frühere Band, Anm. d. Verf.) bei einem Radio-Interview bei Radio Eins saßen und auf die Frage der Journalisten nichts zu antworten wussten. Und dann war da einfach Stille im Radio.
Das wäre heute wohl unvorstellbar …
Ja! Das war ein echt schräger Moment, aber es war völlig ok, dass man als Musiker*in auch ein bisschen unbeholfen und auch sperrig war. Man durfte dem Musikbusiness gegenüber auch eine gewisse Anti-Haltung an den Tag legen. Wir hatten keine Webseiten und keine Social-Media-Accounts und die Verantwortung für einen vollen Laden lag bei den Veranstaltern und nicht beim Künstler. Wir haben damals wirklich einfach nur Musik gemacht. Um Fotos, Videos, Texte und Remixe kümmerten sich die Labels. Man selber schaute sich dann die Fotos an und las die Texte und fand das dann alles scheiße, aber es selbst zu machen – auf die Idee kam ich damals nicht. Das ist heute anders. Aber andererseits bin ich auch froh über die Kontrolle, die man auf diese Art und Weise über seinen Output hat.
Für Ihr letztes Album haben Sie ein vergleichsweise großes Medienecho erhalten. Wie haben Sie sich das erklärt, und was hat das mit Ihnen gemacht?
Ich glaub, da war der Überraschungsmoment auf meiner Seite. Ich sang plötzlich auf Deutsch und habe diese tollen poetischen Texte von Brasch in einen neuen Kontext gebettet. Für das Album haben wir zudem eine Förderung vom Berliner Senat erhalten. Das hat diese komplexere Arbeit, an der ja auch andere Künstler beteiligt waren, überhaupt erst möglich gemacht. Im Ergebnis entstanden nicht nur die Songs, sondern auch Texte und bildliche Entsprechungen, eine Auseinandersetzung, die mich anders gefordert hat und wodurch sich dann auch der theoretische Überbau und die Form des Albums gefunden haben. Das hat im Zuge der medialen Rezeption sehr geholfen.
Hat Sie der mediale Fokus manchmal auch überfordert?
Nein, ich fand das super. Was auch daran lag, dass die inhaltliche Auseinandersetzung sehr respektvoll und wertschätzend war. Hätte ich mich missverstanden gefühlt, wäre das wahrscheinlich anders gewesen.
Ist der Erfolg einer bestimmten Platte auch eine Hypothek für die darauffolgende? Oder eher ein Mutmacher?
Es kann einen ziemlich lähmen. Ich hatte mit der zweiten Platte »Unsolved Remained« schon mal eine gewisse Aufmerksamkeit erfahren, auch international. Von der wurden damals zwei Stücke für die amerikanische Serie »Grey’s Anatomie« lizenziert. Das hat dazu geführt, dass ich bei der dritten Platte sehr unter Druck stand und sie einige Zeit nicht fertigstellen konnte.
Ihre Musik wurde mal als »Disco der Innerlichkeit« bezeichnet. Ihre introvertierte Version des Whitney-Houston-Songs »I Wanna Dance With Somebody« auf dem neuen Album scheint exemplarisch für die Verbindung dieser beiden Welten zu stehen.
Das stimmt. Ich mag Disco, fühle mich aber auch in der Innerlichkeit und Melancholie sehr wohl, insofern ist die Beschreibung eigentlich sehr zutreffend. Dass ich mal Whitney Houston covern würde, war aber eigentlich nicht vorgesehen und eher ein Zufallsprodukt, das sich im Zuge einer geplanten Beteiligung an einer Filmproduktion ergeben hat. An der tanzbaren Version, die nahe am Original war, habe ich mir die Zähne ausgebissen. Deshalb nahm ich dann eine andere Version auf, die den Text plötzlich in einen neuen Kontext stellte. Diese Version hat dann so eine Art Eigenleben entwickelt und ist jetzt die, die auf dem Album ist.
Bekannt geworden sind Sie als Musikerin von Bands wie Contriva oder Mina. Während Bands ein demokratisches Gebilde sind, das viel Kompromissbereitschaft erfordert, agiert man als Solokünstlerin größtenteils autark. War die Entscheidung gegen die Bands daher implizit auch eine Entscheidung für mehr künstlerische Beinfreiheit?
Es war vor allem eine Entscheidung für Gesang und Text, die in der instrumentalen Musik der genannten Bands keine Rolle spielten. Gegen das Bandkonzept als solches habe ich mich nie entscheiden, im Gegenteil: Ich habe die kollektive Arbeit eigentlich immer sehr gern gemocht. Aber es stimmt: Als Solokünstlerin habe ich die Möglichkeit, meine künstlerischen Ideen im Zweifel radikaler umzusetzen.
In Ihrer Anfangszeit haben Sie auf Englisch gesungen, »Woanders« war dann erstmals komplett auf Deutsch. Ihr neues Album bewegt sich nun zwischen beiden Sprachen. Welchen Einfluss hat die Wahl der Sprache auf Ihre Musik und die Beziehung, die Sie zu ihr aufbauen?
Das versuche ich noch herauszufinden. Ich war lange Zeit viel im Ausland unterwegs und habe deshalb auch viel Englisch gesprochen. Nicht zuletzt deshalb hat es sich anfangs völlig natürlich für mich angefühlt, auch auf Englisch zu singen. Aber es blieb ein Abstand zwischen mir und dem Text. Was ich eigentlich immer mochte. Erst mit »Woanders« habe ich Deutsch als Popmusiksprache für mich entdeckt. Das hatte dann eine andere Kraft, was natürlich auch an den Texten von Brasch lag, aber auch an meiner größeren Nähe zur Sprache. Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Ich probiere da noch rum.
»Schon damals das Gefühl, die guten Zeiten sind vorbei«, singen Sie in Ihrer Single »Wut und Glück« – einer Adaption eines Essays von Alexander Osang. Was hat Sie an diesem Text so fasziniert?
Ich mag, dass er sowohl eine Abrechnung mit Berlin als auch eine Liebeserklärung an die Stadt ist. Als ich den Text las, kam ich gerade von einer langen Tour aus Polen zurück. Zu Hause in Berlin habe ich dann gemerkt, dass der Aufenthalt dort viele Erinnerungen an meine Kindheit, aber auch an die Zeit nach der Wende wachgerufen hat. Ich hatte das Gefühl, zurück in die Vergangenheit zu reisen und gleichzeitig auch nicht, weil in Polen ja letztendlich die gleichen Globalisierungsprozesse ablaufen wie bei uns. Dann habe ich den Artikel von Osang gelesen, in dem es auch viel um die Veränderungen und Kontinuitätslinien in Berlin geht, und die Zeilen aus dem Song sind mir in Erinnerung geblieben.
Sie sind selbst gebürtige Berlinerin und leben bis heute in der Stadt. Was würden Sie sagen, was in Ihrer Beziehung zu der Stadt aktuell überwiegt: Wut oder Glück?
Ich hab mich lange Zeit stark mit Berlin identifiziert. Wenn ich im Ausland gefragt wurde, woher ich komme, habe ich nie mit »Deutschland« geantwortet, sondern immer mit »Berlin«. Mein Reflex war lange, mich von Deutschland zu distanzieren und zu behaupten, das habe nichts mit mir zu tun – anders als Berlin. Das ist natürlich ein Mythos. Berlin ist dann eben doch einfach nur die Hauptstadt von Deutschland.
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