Ein Leben für den großen Ahnen

Wolfgang Wagner, jahrzehntelang Leiter der Bayreuther Festspiele, ist tot

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Wolfgang Wagner ist am Sonntag in Bayreuth gestorben. Seinen 90. Geburtstag hatte er, wie immer zum Abschluss der sommerlichen Richard-Wagner-Festspiele, am 30. August 2009 begangen. Aus der Öffentlichkeit hatte er sich da schon zurückgezogen, seine Gesundheit galt als angeschlagen. Zwar war seine 25 Jahre jüngere zweite Ehefrau Gudrun 2007 plötzlich gestorben, doch fand der alte Herr noch die Kraft und wohl auch Genugtuung, seine Tochter Eva (63) aus erster Ehe gemeinsam mit Tochter Katharina (31) aus zweiter Ehe als Nachfolgerinnen-Duo auf seinen Herrscherthron auf dem Grünen Hügel zu installieren. Mit dem Segen der Institutionen, die er letztlich in einem jahrzehntelangen Dauerclinch kleingekriegt hatte.

Um in demokratischen Zeiten eine so altmodisch dynastische Personalpolitik zu betreiben, braucht man nicht nur den sprichwörtlichen fränkischen Dickschädel, der dem Enkel Richard Wagners zugeschrieben wird und den so mancher Minister in München und auch mancher Verwandter aus dem streitsüchtigen Clan zu spüren bekam. Sohn Gottfried war bis zum Schluss verbannt. Zur Nichte Nike blieb der Graben nach der Schlacht um die Nachfolge, für die sich die Tochter von Bruder Wieland zwar selbst, auf keinen Fall aber ihre Cousinen für geeignet hielt, unüberbrückbar.

Wenn man, wie Wolfgang Wagner, neben der Hauptrolle als Richards Enkel zugleich der Urenkel von Franz Liszt, der Sohn von Siegfried Wagner und der unverhohlenen Hitlerfreundin Winifred und obendrein der Bruder eines als genialischen Regisseurs ist, dann braucht man schon einen starken inneren Kompass und Kämpferqualitäten, um bei Gegnern und Freunden den Respekt zu erringen, der einen Mann über ein halbes Jahrhundert im Sessel hält. Als er die gesamten Wagner-Hinterlassenschaften, samt Villa Wahnfried und Festspielhaus in eine Stiftung überführte und sich selbst vertraglich eine Leitungsposition auf Lebenszeit sicherte, da war diese merkwürdige Terminierung bei ihm durchaus ernst gemeint. Zumindest als Druckmittel.

Doch verblasst all das alljährliche Hickhack auf der Bayreuther Hinterbühne beim Blick auf die Lebensleistung Wolfgang Wagners. Er hat das nach wie vor einzige deutsche Kulturfestival von Weltgeltung bis ins 21. Jahrhundert geführt. Und er hat den wesentlichen Anteil daran, dass die Festspiele zwar keine Privatveranstaltung der Familie Wagner mehr sind, aber doch immer noch von geeigneten leiblichen Nachkommen geleitet werden können. Wolfgang Wagner ist der Manager des Überlebens eines mit nichts sonst auf der Welt vergleichbaren Kulturunternehmens. Eines Unternehmens, dem die weltweite Fangemeine, komme was da wolle, die Treue hält, und die Karten Jahr für Jahr zigfach überbucht.

Freilich hat dieses Unternehmen auch seine ganz besondere Beziehung mit der deutschen Geschichte. Vom schlösserbauenden Märchenkönig Ludwig II. als Paten des Anfangs bis zum weltzerstörenden Wagnerianer Hitler. Mit Anfang Dreißig haben Wolfgang und sein Bruder sich der Aufgabe gestellt, Wagners Werk unter dem braunen Schutt wieder hervorzuräumen. Wieland vor allem bis zu seinem frühen Tod 1966 als Entrümplungsregisseur auf der Bühne, und Wolfgang gemeinsam mit ihm, dann allein, als der große Impressario, Bewahrer und Ermöglicher an der Spitze der Festspiele. Und dabei hat ihn die bei Intendanten seltene Tugend ausgezeichnet, für Regiehandschriften offen zu sein, die seinen eigenen ästhetischen Vorstellungen konträr waren. Nicht nur der sogenannte Jahrhundert-»Ring«, den er 1976 in die Hände der Franzosen Patrice Chéreau und Pierre Boulez gelegt hat, ist als Beispiel solcher, einer damals noch entschieden konservativ geprägten Gemeinde zugemuteten Offenheit zu rühmen.

Selbst mit den Einladungen aus der jüngeren Zeit, etwa an Claus Guth, Christoph Marthaler und dann sogar an Christoph Schlingensief und Stefan Herheim lag Bayreuth ja keineswegs neben der modernen Wagner-Pflege. Und dass es mit Martin Kusej und Lars von Trier nichts wurde, kann man Wolfgang Wagner nicht anlasten. Heute kaum noch nachvollziehbar mutig waren aber die früheren Einladungen an Götz Friedrich (»Tannhäuser«, 1972) und Harry Kupfer (mit einem rezeptionsgeschichtlich spektakulären »Holländer« und 1988 mit einem »Ring«), die er aus der DDR nach Bayreuth geholt hat. Nicht nur damit hat er politisch Zeichen gesetzt. Auch bei der Auswahl der Musiker und Sänger hat er immer gesamtdeutsch gedacht und auch die namhaften Künstler aus dem Osten auf seinen Besetzungslisten vermerkt.

Wolfgang Wagner war in seiner Art ein Solitär in der Kulturlandschaft. Er hinterlässt ein bedeutendes Erbe. Es ist jetzt an seinen Töchtern, sich dem zu stellen.

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