Aufbruchstimmung in New York

UNO-Abrüstungskommission beginnt Jahrestagung / Stillstand soll überwunden werden

  • Wolfgang Kötter
  • Lesedauer: 4 Min.
Drei Wochen lang werden ab dem heutigen Montag die Vertreter der 192 UNO-Mitgliedsstaaten in New York Fragen der Abrüstung und der Rüstungskontrolle erörtern.

Überall auf dem UN-Gelände zwischen 42. und 48. Straße an der First Avenue in Midtown Manhattan trifft man auf Abrüstungssymbole: Im Park schmiedet eine überlebensgroße Statur »Schwerter zu Pflugscharen«, auf dem Vorplatz zwischen Vollversammlungshalle und Dag-Hammarskjöld-Bibliothek kündet ein verknoteter Pistolenlauf vom Engagement gegen Waffengewalt, in Sichtweite mahnt das Läuten der japanische Friedensglocke an jedem 21. September zum gewaltfreien Zusammenleben, und vor dem Sitzungssaal des Sicherheitsrates beklagt Pablo Picassos »Guernica« die Leiden des Bombenkrieges.

Trotz aller dieser mahnenden Symbole: dass es unter Leitung von Jean-Francis Zinsou aus Benin während der diesjährigen Sitzung der UNO-Abrüstungskommission tatsächlich zu ernsthaften Beratungen kommt, ist keineswegs selbstverständlich. Denn wie die meisten multilateralen Abrüstungsbemühungen lag auch die UNO-Abrüstungskommission ein Jahrzehnt lang im diplomatischen Koma und es gab Jahre, in denen nicht einmal ein Arbeitsprogramm zustande kam oder die Veranstaltung sogar ersatzlos ausfiel.

Dabei kann die Kommission im Netzwerk multilateraler Institutionen eine nützliche Rolle spielen. Als Brücke zwischen der Vollversammlung, die jährlich etwa 50 Empfehlungen zur Abrüstung verabschiedet, und der für die Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge zuständigen Genfer Abrüstungskonferenz soll sie helfen, den politischen Boden für spätere Verhandlungen zu bereiten. Positionen werden ausgetauscht, Streitpunkte angenähert, es wird nach einem gemeinsamen Vorgehen gesucht.

Ergebnisse müssen her

Immerhin bewegte sich auf der vorjährigen UN-Vollversammlung erstmals wieder etwas im Abrüstungsdiskurs. Obwohl erhebliche Differenzen bleiben, gibt es doch zu einer Reihe konkreter Fragen mehr Übereinstimmung als bisher. Vor allem die Regierung Barack Obamas in den USA korrigierte die pauschale Verweigerungshaltung ihrer Vorgängerin zu solchen Themen wie atomare Abrüstung, Waffenhandelsvertrag, Teststoppvertrag und Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum.

Drei Themenkomplexe stehen diesmal auf der Tagesordnung: Paolo Cuculi aus Italien leitet die erste Arbeitsgruppe, die nach Wegen zu atomarer Abrüstung und Nichtweiterverbreitung suchen soll. Dabei geht es um nicht weniger als das Überleben der Menschheit, denn die Situation ist äußerst bedrohlich. Zwar wollen Russland und die USA in Kürze einen Nachfolgevertrag zum START-Abkommen über eine Verringerung ihrer strategischen Atomwaffen unterzeichnen, doch dann müssen noch die Parlamente beider Staaten zustimmen. Der UN-Sicherheitsrat hat eine atomwaffenfreie Welt einmütig als Ziel deklariert und zur Nuklearabrüstung aufgerufen, aber die Nuklearmächte haben dafür bisher wenig Praktisches geleistet. Schon bis zur entscheidenden Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages im Mai müssen konkrete Ergebnisse her, andernfalls droht die Nichtweiterverbreitung gänzlich zu scheitern.

Ein weiterer Themenbereich umfasst vertrauensbildende Maßnahmen bei den konventionellen Waffen, die in Kriegen und Konflikten jedes Jahr Hunderttausende Menschenleben fordern. Zu möglichen Aktionen, die Misstrauen abbauen könnten, gehören Transparenz und Informationsaustausch in Rüstungsfragen und bei Truppenbewegungen, gegenseitige Manöverbeobachtungen, die Schaffung militärisch ausgedünnter und Disengagement-Zonen in Grenznähe sowie Konsultationsmechanismen und Prozeduren zur Streitschlichtung. Dieser Problematik wollen sich die Delegationen zuwenden, nachdem eine Arbeitsgruppe unter Johan Paschalis aus Südafrika ihre im vergangenen Jahr begonnene Aufgabe erfüllt hat, Elemente für eine Deklaration zur UN-Abrüstungsdekade zu erarbeiten.

Verlorenes Jahrzehnt

Abrüstung gehört laut Charta zu den zentralen Anliegen der Weltorganisation. Sowohl der Sicherheitsrat als auch die Vollversammlung werden ausdrücklich beauftragt, sich für »Abrüstung und Rüstungsregulierung« einzusetzen. Als die UNO im Jahre 1945 das Licht der Welt erblickte, war sie sofort mit den verheerendsten Destruktivkräften in der Menschheitsgeschichte, den Nuklearwaffen, konfrontiert. Auf ihrer ersten Vollversammlung, noch unter dem Eindruck der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, unterstrich sie deshalb die zentrale Rolle der Abrüstung für Frieden und Sicherheit. Kernwaffen und alle übrigen Massenvernichtungswaffen sollten aus den nationalen Arsenalen verbannt werden.

In der Realität trug die UNO indes nur begrenzt zur Abrüstung bei. Doch obwohl sie während des Kalten Krieges oft lediglich als Arena eines propagandistischen Schlagabtauschs zwischen Ost und West diente, wurden auch einige wichtige multilaterale Verträge vereinbart. Sie verbieten Massenvernichtungswaffen im Weltraum, auf Himmelskörpern und unter Wasser. Die Verbreitung von Atomwaffen und ihre Erprobung wurden untersagt, chemische und biologische Waffen geächtet. Für die Anwendung der grausamsten konventionellen Waffen – Brand- und Laserwaffen, Splitterbomben und Sprengkörper – gibt es zumindest Einsatzbeschränkungen.

Nun geht es darum, die Rolle der Weltorganisation bei der Abrüstung zu stärken und dem verlorenen Jahrzehnt eine Periode wirksamer Abrüstungsmaßnahmen folgen zu lassen. Als Ergebnis streben die Delegierten für alle drei Themenkreise Handlungsempfehlungen an. Wenngleich nicht rechtsverbindlich, könnten sie zumindest als politisches Signal und kleinster gemeinsamer Nenner der Staatengemeinschaft angesehen werden, denn Beschlüsse werden nur im Konsens gefasst. Ob die Kommission diesmal erfolgreicher als zuletzt sein wird, werden die kommenden Wochen erweisen.

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