Die Spur führt in den Kaukasus

Präsident Medwedjew will Kampf gegen Terror »ohne Zaudern« fortsetzen

  • Alexej Dubatow, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

Mitten im morgendlichen Berufsverkehr wurden am Montag in Moskau zwei Selbstmordanschläge verübt. Die Attentate in der überfüllten Metro gelten als Signal an die russischen Sicherheitskräfte.

Fotos zeigen in Dunst gehüllte Marmorsäulen, an denen Verletzte lehnen. Andere liegen auf dem Boden. Das Ende der langgezogenen unterirdischen Metrostation ist nicht zu sehen. Die Aufnahmen stammen aus Mobiltelefonen überlebender Fahrgäste. Fotos des zerstörten U-Bahn-Zuges traut sich das russische Staatsfernsehen vorerst nicht zu zeigen.

Eine Selbstmordattentäterin hatte ihre unter der Kleidung versteckte Bombe gezündet, als der Zug um 7.52 Uhr Ortszeit – mitten im morgendlichen Berufsverkehr – an der Metrostation »Lubjanka« hielt und die Türen sich gerade öffneten. Experten schätzten die Explosionsstärke auf drei Kilo herkömmlichen Sprengstoffs.

Eine zweite Explosion wurde um 8.36 Uhr von der Metrostation »Park Kultury« (Kulturpark) gemeldet. Augenzeugen berichteten im Internet später von »furchtbarem Gedrängel« an den Stationsausgängen. Die Nachricht von einer dritten Explosion auf der Station »Prospekt Mira« konnte glücklicherweise nach kurzer Zeit dementiert werden.

Die quer unter dem Moskauer Stadtzentrum hindurchlaufende U-Bahn-Linie wurde innerhalb des Metrorings vorübergehend gesperrt. Polizisten mit Spürhunden durchsuchten alle Stationen auf Sprengstoffspuren. Obwohl oben zusätzliche Busse eingesetzt wurden, versank die Stadtmitte im Chaos. Manche Taxifahrer verzehnfachten ihre Preise. Eilige Moskauer marschierten nicht nur auf Bürgersteigen, sondern mancherorts auch auf der Fahrbahn zur Arbeit. Auch wegen umfangreicher Absperrungen kam es im ohnehin verkehrsgepeinigten Moskauer Stadtkern zum Dauerstau. Vor diesem Hintergrund bewiesen Kraftfahrer, die eine freie Spur fanden, halb vergessene Hilfsbereitschaft, indem sie Fußgänger mitnahmen, deren Ziel auf ihrer Strecke lag. Viele meldeten sich bei der Moskauer Sklifossowski-Unfallklinik freiwillig als Blutspender.

Präsident Dmitri Medwedjew versicherte bei einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats im Kreml, die Bekämpfung des Terrorismus werde »ohne Zaudern bis zum Ende« fortgesetzt. Die »Destabilisierung des Staates und der Gesellschaft« werde den Urhebern der Anschläge nicht gelingen.

Metro-Chef Dmitri Gajew und Moskaus Oberbürgermeister Juri Lushkow waren kurz nach den Anschlägen an Ort und Stelle. Sie versprachen, den unterirdischen Verkehr sofort wieder in Gang zu bringen, sobald die Fahnder mit ihrer Arbeit fertig seien. Vorher musste der Unfallzug aus der Station »Park Kultury« abgeschleppt werden. Der andere an der »Lubjanka« war so arg verunstaltet, dass er mit Schweißbrennern zerschnitten werden musste. Gegen 14 Uhr fuhr die Metro wieder.

Die Explosion gerade an dieser Station dürfte kein Zufall sein. Die »Lubjanka«, nach der sie ihren Namen trägt, ist die Zentrale des russischen, früher sowjetischen Geheimdienstes. Von diesem Gebäude aus wurde 1944 die Vertreibung von Tschetschenen und Inguschen aus dem Kaukasus nach Kasachstan dirigiert. In ihrem wichtigsten Stadium wurde auch die spätere »antiterroristische Operation« – die offizielle Umschreibung für den Krieg in Tschetschenien – vom Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) geleitet.

Die zweite Bombe habe angeblich ursprünglich nicht am Gorkipark nahe der Moskwa, sondern eine Station weiter – am Oktoberplatz – gezündet werden sollen, wo sich das russische Innenministerium befindet, heißt es gerüchteweise. Die Selbstmordattentäterinnen seien jedoch in Moskau fremd gewesen. Angeblich wurden sie von zwei weiteren Frauen, nach denen gefahndet wird, bis zu den Metroeingängen begleitet. Ein Behördensprecher äußerte die Vermutung, die Anschläge könnten Racheakte für die Tötung zweier Anführer kaukasischer Separatisten – Said Burjatski und Ansor Astemirow – gewesen sein.

In Moskau wurden am Montag alle Flughäfen und Bahnhöfe durchsucht, ähnliche Aktionen wurden aus St. Petersburg und anderen Städten gemeldet. Präsident Medwedjew forderte die Rechtsschützer zu erhöhter Wachsamkeit auf, mahnte sie aber, die Bürgerrechte nicht zu verletzen. Regierungschef Wladimir Putin brach seinen Arbeitsbesuch im sibirischen Krasnojarsk ab. Wenige Wochen vor den Feierlichkeiten zum 65. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland, zu denen Gäste aus aller Welt erwartet werden, sind die Anschläge für die Führung des Landes besonders unangenehm. Harsche Kritik richtet sich gegen Moskauer Behörden. Metro-Chef Gajew hatte nach dem Anschlag im Februar 2004 versprochen, an allen Eingängen auf Sprengstoff reagierende elektronische »Spürnasen« aufzustellen.

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