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CSD in Bautzen: Ein kraftvoller Regenbogen
Mehr als 4000 Teilnehmende bei Queer-Parade in ostsächsischer Stadt – Rechtsextreme Mobilisierung lässt nach
Jonas Löschau war aus dem Häuschen. Vor zwei Jahren, erinnerte sich der queere Aktivist und Stadtrat der Grünen in Bautzen, seien beim ersten Christopher-Street-Day (CSD) in der ostsächsischen Stadt 350 Menschen auf die Straße gegangen. An diesem Sonntagnachmittag sprach Löschau zum Auftakt des dritten Bautzner CSD vor der Maria-und-Martha-Kirche vor mehr als dreimal so vielen Menschen. Die Organisatoren gaben die gesamte Teilnehmerzahl später sogar mit 4300 an; die Polizei sprach von knapp 2000. Es sei, sagte Löschau, ein »ganz tolles Zeichen«, dass derart viele Menschen »solidarisch miteinander auf die Straße gehen für queeres Leben im ländlichen Raum«.
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Der CSD in Bautzen ist einer von vielen in diesem Sommer in der Bundesrepublik – und er ist doch besonders. Seit die extrem rechte Szene begonnen hat, gegen queere Veranstaltungen zu mobilisieren und diese einzuschüchtern und zu bedrohen, konnte sie nirgendwo derartige Erfolge feiern wie beim zweiten CSD in Bautzen. Im vergangenen Sommer waren einer bunten CSD-Parade mit immerhin 1200 Teilnehmern rund 700 Neonazis gefolgt. Sie liefen auf exakt der gleichen Demonstrationsroute. Es kam zu verbalen Bedrohungen und körperlichen Attacken; eine Abschlussveranstaltung musste wegen Sicherheitsbedenken sogar abgesagt werden. Löschau sprach später von einer »Blaupause« für die rechtsextreme Mobilisierung gegen weitere CSD. Der sächsische Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian attestierte der rechten Szene mit Blick auf die Vorfälle in Bautzen kürzlich im Magazin der »Süddeutschen Zeitung« einen »besorgniserregenden Punktsieg«.
Entsprechend nervös schauten Organisatoren, Behörden und die bundesweite Öffentlichkeit auf die diesjährige Veranstaltung. Der Landkreis Bautzen hatte per Allgemeinverfügung das Versammlungsrecht beschränkt und neben Waffen unter anderem auch das Tragen von schwarzer, einheitlicher Kleidung untersagt, die »einschüchternde Wirkung« haben könne. Man rechne »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« mit verbalen und womöglich auch körperlichen Auseinandersetzungen und einer »konfrontativen Versammlungslage«, hieß es in der Verfügung. Die Polizei war entsprechend mit einem Großaufgebot präsent, um die Lager zu trennen und Auseinandersetzungen zu vermeiden. Auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) verschaffte sich in Bautzen ein eigenes Bild von der Lage.
Die befürchtete Konfrontation blieb dann zumindest am Nachmittag aber glücklicherweise aus; der dritte Bautzener CSD wurde vielmehr eine gelungene Party. Bereits vor der Maria-und-Martha-Kirche, von deren Turm ebenso wie vor dem Bautzener Rathaus eine Regenbogenfahne hing, wurde zu Livemusik ausgelassen getanzt; bei einer späteren Zwischenkundgebung gab es sogar einen kurzfristig anberaumten Auftritt der Chemnitzer Band Kraftclub, deren Sänger Tom Kummer den Teilnehmern zurief, er würde lieber mit ihnen auf einer Party stehen als »mit diesen Dumpfbacken dort drüben«.
»CSDs in Berlin, Leipzig, Köln – das ist Party. Das hier ist Kampf ums Existenzrecht.«
Georgine Kellermann trans Aktivist*in
Damit meinte er die Rechtsextremen, die mit rund 300 aber nicht einmal halb so viele Teilnehmer auf die Straße brachten wie noch im vergangenen Jahr. Das Portal »Endstation Rechts« resümierte, die Ereignisse von 2024 hätten aufseiten des CSD deutlich stärker mobilisierend gewirkt als in der rechtsextremen Szene. Allerdings handle es sich trotzdem um den bislang größten Anti-CSD-Protest in dieser Saison. Zudem wurde auf die hohe Gewaltbereitschaft der Nazis verwiesen. In Sprechchören hatten diese immer wieder mit Gewalt gegen CSD-Teilnehmer gedroht.
Ein CSD in der Provinz sei deshalb, anders als in Großstädten wie Berlin, Köln oder Leipzig, nie ausschließlich Party, sagte Georgine Kellermann, Journalist*in und trans Aktivist*in, in Bautzen: »Das hier ist Kampf ums Existenzrecht.« Kellermann sprach bei einer Zwischenkundgebung ebenso wie Sophie Koch, SPD-Politikerin und Queer-Beauftragte der Bundesregierung, sowie der Bautzener CDU-Oberbürgermeister Karsten Vogt. Dieser mahnte zu Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen, Religionen und Nationalitäten, räumte aber ein: »Die Toleranz in unserer Gesellschaft ist geringer ausgeprägt als wir meinen.« Auch Politiker anderer Parteien nahmen an dem Aufzug teil, darunter mit Ines Schwerdtner, Anja Eichhorn und Marco Böhme die Bundes- und die beiden Landeschefs der Linken in Sachsen.
Dank derlei überregionaler Unterstützung konnten die Bautzener Organisatoren um Jonas Löschau auf einen gelungenen Nachmittag schauen. Sehr viele Menschen seien mit ihnen »für Sichtbarkeit, Vielfalt und echte Gleichberechtigung unterwegs«, erklärten sie, während der Aufzug noch lief, und betonten: »Bautzen kann bunt, laut und solidarisch sein«. Die »Omas gegen Rechts Leipzig« resümierten, die Menschen in der ostsächsischen Stadt hätten an diesem Nachmittag »ganz viel Soli und Power« erlebt. Es sei zu hoffen, fügten sie hinzu, dass sie »hier vor Ort ganz viel davon abspeichern und im Herzen behalten«.
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