»Wir stellen die Oper ins Leben«

Musikfestival »OpenOp« vom 8.-18. April in der Neuköllner Oper / Bernhard Glocksin ist künstlerischer Leiter des Musikfestivals »OpenOp«

  • Lesedauer: 4 Min.
Die Neuköllner Oper richtet vom 8. bis 18. April ein »Europäisches Festival für anderes Musiktheater« aus. Mit dem künstlerischer Leiter, Bernhard Glocksin, sprach Antje Rößler.
»Wir stellen die Oper ins Leben«

ND: Wie unterscheidet sich die Neuköllner Oper von den drei großen Berliner Opernhäusern?
Glocksin: Wir lieben das Musiktheater und die Geschichten, die wir damit erzählen können. Daher erfinden wir neue Stücke, anstatt alte nachzuspielen. Und wenn wir ein Werk des Repertoires neu befragen, dann betrifft das nicht nur die Inszenierung, sondern auch Partitur und Text. Wir stellen das Opern-Erbe zurück ins Leben, und nicht ehrfürchtig in die Vitrine. Die Dramaturgie, die hier seit über 30 Jahren betrieben wird, geht von der Frage nach den heute relevanten Geschichten aus.

Wo finden Sie diese Geschichten?
Auf der Straße. In unseren Herzen. In dem, was uns betrifft. Musiktheater ist doch Teil unseres Lebens, und daher sollte es auch davon handeln und erzählen – von Menschen, ihrer Besonderheit, ihrer Verantwortung. Wir bringen ganz verschiedene musikalische Stile zusammen, weil das die Vielfalt unserer Gegenwart ausdrückt. »Reine« E-Musik erscheint uns ebenso langweilig und einseitig wie ein konventionelles Musical.

Dann haben Sie sicher ein anderes Publikum als die Staatsoper.
Wir machen Musiktheater für alle. In Berlin haben wir das jüngste und neugierigste Musiktheaterpublikum. Und wir erreichen Menschen mit Migrationshintergrund, weil deren Situation bei uns auf der Bühne immer wieder Thema ist. Hierher kommt niemand, weil etwa Anna Netrebko auftritt. Bei uns geht es um den Inhalt.

Wie ist die Neuköllner Oper entstanden?
Die Gründung geschah aus dem Zeitgeist heraus: 1977 in West-Berlin; mit dem durchaus linken Anspruch, die Kunst raus zu den Leuten bringen.

Zuerst gab es wechselnde Aufführungsorte. 1988 stellte das Kunstamt Neukölln einen alten Ballsaal im dritten Stock der Passage Neukölln als feste Spielstätte zur Verfügung. Heute gehen hier pro Jahr bis zu 13 Produktionen und 270 Vorstellungen über die Bühne.

Wie wurde das Haus nun zur Heimstatt eines europäischen Opernfestivals?
In den vergangenen Jahren haben wir mit neuen Formen und Genres experimentiert und erhielten daraufhin viele interessierte Rückmeldungen aus anderen Ländern. Also haben wir die Initiative ergriffen, unsere Arbeit in einen europäischen Kontext zu stellen und mit den Entwicklungen im Ausland zu vernetzen.

Sie nennen die Schau ein Festival für »anderes Musiktheater«. Was ist hier anders?
Im Mittelpunkt steht ein kleines, agiles Musiktheater-Format, das abseits der großen Institutionen und Festivals seinen Platz hat und oft schneller und direkter auf die soziale Gegenwart reagieren kann. Das Ganze ist auch ein Arbeitsfestival, auf dem wir uns austauschen.

Wir erkunden gemeinsam mit gesellschaftlich und musikalisch ganz unterschiedlich sozialisierten Menschen, wie man heute Geschichten mit Musik und Gesang erzählen kann.

Wie läuft das konkret ab?
Es gibt mehrere Koproduktionen, die eigens für das Festival erstellt werden und zum Teil erst vor Ort entstehen. Zum Beispiel machen wir ein gemeinsames Theaterstück mit Kollegen aus Mazedonien, weil uns die Situation auf dem Balkan interessiert, und die reiche Musiktradition dort. Dann hat der Komponist Moritz Eggert ein kleines antikapitalistisches Stück mit dem Titel »Bordellballade« geschrieben, das in Koproduktion mit dem Theater Koblenz und dem Weill Fest Dessau realisiert wird. Und wir starten mit einer Eröffnungs-Gala der ganz besonderen Art: mit Suse Wächters »Helden der Oper«, einem Stück mit singenden Puppen. Das wird wiederum vom Oldenburger Staatstheater mitproduziert.

Verfolgt das Festival einen politischen Anspruch?
Wenn man das Politische als eine Kategorie unserer Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen und staatlichen Umfeld betrachtet, dann ist unsere Arbeit natürlich politisch. Wir haben hier in Europa alle dieselben Probleme: das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien, die Überalterung, Folgen der Globalisierung. Da ist es sehr spannend zu erleben, wie man anderenorts diese Probleme versteht und darüber Musiktheater macht.


OpenOp – Europäisches Festival für anderes Musiktheater
8.-18. April

Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131, Neukölln
Karten und Informationen unter der Tel.: (030) 68 89 07-0
www.neukoellneroper.de

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