Klaus war kein Robin H.

Piraten-Lesebuch

  • Kai Agthe
  • Lesedauer: 3 Min.

Unser Bild vom Piraten hat Johnny Depp geprägt. Im Dreiteiler »Fluch der Karibik« ist er in der Glanzrolle des ebenso trotteligen wie gewitzten und vom Pech verfolgten Jack Sparrow zu sehen. Das ist Hollywood. Die Realität sah anders aus. Wie, das zeigen Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz in ihrem historischen Lesebuch »Störtebeker und Konsorten«.

Bis in die Karibik reicht diese Kulturgeschichte der Freibeuter, Korsaren und Piraten zwar nicht, dafür wird aber die maritime Räuberei vor unserer Haustür, also auf Nord- und Ostsee, vorgestellt. Die Herausgeber haben Auszüge aus Chroniken, historischen und literarischen Texten zusammengestellt. Der Kontext wird jeweils durch detaillierte Einführungen hergestellt.

Die ersten großen Raubzüge unternahmen die Wikinger, die lange vor dem Jahr 1000 mit ihren leistungsfähigen Schiffen nicht nur die Meere unsicher machen, sondern auch bis weit ins Binnenland vordrangen. Die Seeräuberei galt für die »Nordmänner« nicht als unmoralisch. Denn auch ihre Götter, allen voran Odin, hatten ihren Besitz durch Raub und Mord erworben. Nachweislich haben die Wikinger u.a. im Jahr 885 Paris in Angst und Schrecken versetzt.

Kaum ein Pirat hat in der Geschichtsschreibung und in der Literatur so viel Aufmerksamkeit erfahren wie Klaus Störtebeker und seine Vitalienbrüder. Dass er ein Robin Hood der Nord- und Ostsee gewesen sei, ist ein Mythos. Ein dankbarer freilich, da allein schon die Zahl der literarischen Bearbeitungen über Leben und Taten dieses Piraten, über den man wenig weiß, Legion ist. Von dem Schrecken der Meere hat er sich zu einem positiven Helden gewandelt. So hat ihn die DDR-Literatur gar zur Lichtgestalt erhoben. Willi Bredel hat einen Roman über Störtebeker verfasst, Kurt Barthel ein Weihespiel geschrieben. Beide zeigen ihn als edlen und milden Seeräuber und haben ihn so »für die revolutionäre Tradition der DDR gerettet«.

Weitere berühmt-berüchtigte und hier vorgestellte Piraten des 15. und 16. Jahrhundert sind Godeke Michels, der seinerzeit noch sagenhafter war als Störtebeker, Klaus Kniphoff und Wiben Peter, der ein Kohlhaas der Meere war. Das spannende Lesebuch bietet zahlreiche neue Einsichten zum Piraten(un)wesen und seinen Folgen. So etwa richtete die Hamburger Admiralität 1624 eine »Sklavenkasse« ein. Jeder Seemann, der auf große Fahrt ging, hatte dort eine Abgabe zu entrichten. Aus dem Kassenbestand wurden im Ernstfall dann die Lösegelder für Seeleute bezahlt, die von Seeräubern als Geiseln genommen wurden.

Wie aktuell gerade das letztgenannte Problem ist, zeigen die Geschehnisse am Horn vor Afrika im Allgemeinen und die 121 Tage dauernde Entführung der »Hansa Stavanger« im Besonderen. Die Piraterie ist kein großer Spaß, sondern eine Form schwerer Kriminalität. Auch wenn man das nicht glauben mag, wenn Johnny Depp alias Jack Sparrow die Segel setzen lässt...

Heiner Boehncke/Hans Sarkowicz (Hg.): Störtebeker und Konsorten. Piraten in Nord- und Ostsee. Ein historisches Lesebuch. Delius Klasing Verlag. 243 S., geb., 19,90 €.

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