Kolumbiens Linke im Dilemma

Aufstieg des Grünen Antanas Mockus macht Präsident Uribe nervös und die Linke ratlos

  • Gerhard Dilger, Bogotá
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor der ersten Runde der kolumbianischen Präsidentenwahl am 30. Mai erlebt ein Außenseiter einen scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg. Sein Name: Antanas Mockus.
Plötzlich Favorit: Antanas Mockus
Plötzlich Favorit: Antanas Mockus

Bis zu 39 Prozent der Stimmen prophezeien Umfragen dem Präsidentschaftskandidaten der Grünen, Antanas Mockus. Auch in der Stichwahl läge er vor Juan Manuel Santos, dem Kronprinzen des amtierenden rechten Staatschefs Álvaro Uribe. Und Uribe ist nervös: Seine Vorwürfe, Mockus habe als Bürgermeister von Bogotá die Sicherheitspolitik vernachlässigt, gingen ins Leere. Der Grüne signalisierte Härte auch gegenüber der FARC-Guerilla. Solange die Aufständischen nicht auf Entführungen verzichten, will er nicht mit ihnen verhandeln.

Vor vier Jahren hatte Carlos Gaviria für die damals im Alternativen Demokratischen Pol vereinte Linke mit 22 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte erreicht. Gavirias Parteifreund Gustavo Petro liegt heute bei ganzen drei Prozent. »Jahrelang wurden wir als FARC-Freunde verteufelt, obwohl wir den bewaffneten Kampf ablehnen«, sucht Gaviria im Gespräch mit ND nach Erklärungen. Aber auch mit Petros Wahlkampfstrategie ist er nicht glücklich: »Es ist ein Fehler zu verstecken, dass wir Linke sind und uns für die Rechte der Schwächsten einsetzen.«

Zu Hugo Chávez, dem Präsidenten Venezuelas, mit dem er früher befreundet war, ging Petro schon vor Jahren auf Distanz – und Chávez ist nachtragend: Erst kürzlich verhöhnte er Petro als Vertreter einer »feigen Linken«. Der verbat sich dies. »Anscheinend sind Uribe und Chávez jetzt in dem Versuch verbündet, die demokratische Linke zu zerstören«, gab er zurück.

Seine Partei bekommt aber auch die Rechnung für eigene Fehler präsentiert. Unter ihrem Bürgermeister Samuel Moreno Rojas blüht in Bogotá wieder die Vetternwirtschaft, und Carlos Gaviria hatte sich nach seiner Niederlage bei den Vorwahlen im vergangenen Jahr zunächst beleidigt zurückgezogen. Erst seit Kurzem tritt er wieder zusammen mit Petro auf. »Ein schlechtes Ergebnis für den Kandidaten ist auch schlecht für die Partei«, begründet der 73-jährige frühere Verfassungsrichter seinen Schritt. Das Projekt einer starken linken Kraft mit dem Ziel, »Demokratie in Kolumbien erst einmal aufzubauen«, hat er noch nicht aufgegeben.

Eine Stichwahl zwischen dem Uribe-Lager und dem Grünen Mockus stürze die Linke in ein Dilemma, meint Gaviria. »Natürlich müssen wir alles tun, damit das Uribe-Projekt, ein harter Schlag gegen Demokratie und Menschenrechte, nicht fortgesetzt wird. Aber auch Mockus setzt auf Härte, und soziale Gerechtigkeit ist für ihn kein Thema.« Dessen »Bürgerkultur« sei zwar eine »sehr schöne Idee», aber zuerst müssten die dringendsten Bedürfnisse der Ärmsten befriedigt werden. Einer Untersuchung zufolge leben 20 Millionen Kolumbianer in Armut, fast die Hälfte der Bevölkerung.

Ehrlichkeit billigt Gaviria dem Grünen Mockus durchaus zu, »doch Ehrlichkeit reicht nicht: Man muss klar sagen, wie man regieren will. Er will die Korruption bekämpfen, aber letztlich läuft seine Politik auf die Festigung des Establishments, des Status quo hinaus. Es ist ein Mitte-Rechts-Projekt.« Vielleicht hat Mockus gerade deshalb Chancen auf den Sieg: Unter Uribe hat sich das politische Koordinatensystem Kolumbiens tatsächlich nach rechts verschoben, die Verfolgung linker Aktivisten dauerte an, wenn auch subtiler. Aber es liegen Welten zwischen dem autoritären Spitzel- und Polizeistaat, den Uribe wollte, und der »demokratischen Legalität«, für die sich Mockus stark macht. Deshalb werden die meisten Kolumbianer, die vor vier Jahren für Gaviria votierten, diesmal ihr Kreuzchen bei Mockus machen. Darüber hinaus dürfte der »Antipolitiker« auch Millionen Neuwähler erreichen. In Kolumbien, wo traditionell weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten abstimmt, kann das entscheidend sein.

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