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»Ich melke nachher Dralle«

21. Kulturellen Landpartie im Wendland: Freundschaft schließen mit Öko-Kühen, verkehrsregelnde Clowns und eine Einladung zum Protest

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Kühe holen und melken. Für die Wohngemeinschaft, die den Bio-Bauernhof in Tangsehl im Kreis Lüchow-Dannenberg bewirtschaftet, ist das natürlich Alltag. Doch viele auswärtige Besucher der 21. Kulturellen Landpartie haben dergleichen noch nie gesehen oder gar mitgemacht. Mehr als 50 Gäste, die meisten davon Familien mit kleinen Kindern, folgten allein gestern trotz ungastlichen Wetters der Einladung zum Rinderabtrieb in dem abgelegenen Dorf. Als die Öko-Kommunarden ihre insgesamt 16 Kühe, unterstützt von Klapsen mit selbst geschnitzten Stöcken, namentlich von der Weide bitten, kennt die Begeisterung der Mädchen und Jungen keine Grenzen mehr. »Ich melke nachher Dralle«, kräht ein Vierjähriger. »Und ich Wanda«, verkündet die ein Jahr ältere Schwester. Als die Kühe eine viertel Stunde später im Stall in ihren Boxen stehen, haben die Kinder mit den Tieren bereits Freundschaft geschlossen und füttern sie mit Heu.

Überhaupt hält die Kulturelle Landpartie, die am Donnerstag eröffnet wurde und bis zum Pfingstmontag dauert, insbesondere für gestresste Städter etliche Angebote zur körperlichen wie seelischen Entspannung bereit. Therapeuten offerieren in Gärten und Scheunen Reiki, Medizinradarbeit und Massagen aller Art. In Mützingen verspricht »Shin Tai und Shiatsu in beheizter mongolischer Jurte« Heilung. Wem das nicht hilft, kann es ein paar Zelte weiter mit »Vitametik« oder tibetischen Klangmassagen probieren. Es gibt Kurse für nahezu alles und jeden. Das Bogenschießen und -bauen kann ebenso erlernt werden wie Harfe spielen oder Zaubertricks.

Und doch lässt sich die Kulturelle Landpartie im Kreis Lüchow-Dannenberg nicht aufs Esoterische und Biodynamische reduzieren. Es gibt es auch viel Handfestes zu bestaunen. Nahezu alle Künstler und Kulturschaffenden, die sich in den vergangenen Jahren im Wendland niedergelassen haben, öffnen ihre Werkstätten und Ateliers. In einer Landschaftskunstaktion über die ehemalige deutsch-deutsche Grenze verbinden Fahnen, von Künstlern und Besuchern gestaltet, das niedersächsische Wendland mit der sachsen-anhaltischen Altmark. In einem Garten in Güstritz hängt eine Konstruktion, die den Metallzaun, der das Land bis vor 20 Jahren teilte, wieder zusammenschieben soll. Jeden Tag ein Stückchen mehr. »Kraft soll sich in Erkenntnis transformieren, damit zusammenwächst, was zusammengehört«, sagen die Konstrukteure Bernhard Breszki und Hans Bunge.

An fast allen der rund 100 Ausstellungspunkte werden die Besucher mit selbst gebackenen Kuchen und Spezialitäten aus der Region verwöhnt. Eine Wohngemeinschaft bewirtet Gäste mit »Brennessel-Tapas« und »zapatistischem Bio-Kaffee«. Es gibt fangfrischen Fisch aus Gorleben und Bratwurst vom Wildschwein aus den weitläufigen Wendland-Wäldern. Und in Kussebode jeden Tag eine Führung durch die kleine Brauerei, die mit großem Verkaufserfolg das heimische »Wendland-Bräu« herstellt. Bis zu 50 000 Besucher erwarten die Veranstalter bis Pfingsten, schon am Donnerstag und Freitag war der Andrang riesig. Obwohl viele Gäste mit dem Rad unterwegs und in den meisten Orten provisorische Parkplätze ausgewiesen sind, kommt es auf den schmalen Dorfstraßen bisweilen zum Chaos. Als zur besten Kaffeezeit in Bülitz alle Wege zugeparkt sind, müssen Clowns mit bunten Staubwedeln zwecks Verkehrslenkung einschreiten.

Auch in diesem Jahr sind die Atomkraft und der Widerstand dagegen ein großes Thema. So tuckert etwa ein kleiner grüner Trecker mit blauem Anhänger über die Dörfer. Das mobile Kino berichtet über die große Menschenkette am 24. April und den jüngsten Treck der atomkraftkritischen Gorlebener Bauern nach Krümmel. Rechtzeitig zur Landpartie hat die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg überall im Wendland große Plakate aufgehängt, um die Gäste zu einem weiteren Besuch im Wendland einzuladen. Für den November, wenn auch der nächste Castortransport kommt.

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