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  • AKW-Laufzeitverlängerung ohne Energiekonzept und Bundesrat

Vorentscheidung im Laufzeiten-Poker

Merkel hat es in der Atomfrage nun ganz eilig / Gutachten: Bundesrat muss zwingend zustimmen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundesregierung und Ländervertreter beraten heute über längere AKW-Laufzeiten und deren Durchsetzung.

Nur als »Brückentechnologie« in eine energiepolitische Zukunft aus Wind und Sonne sollte die Atomkraft fungieren, machte die Bundesregierung nach ihrem Amtsantritt Glauben. Lediglich ein paar Jahre mehr Laufzeit für die AKW solle es geben, bis die Regenerativen sie ersetzen könnten. Ein umfassendes Energiekonzept, in dem all das geregelt wäre, wollte die Koalition bis zum Herbst vorlegen.

Das ist Makulatur. Unter dem Eindruck der Proteste von Opposition und Anti-Atom-Bewegung sowie angesichts der Zerstrittenheit in den eigenen Reihen, tritt die Regierung die Flucht nach vorn an. Bereits heute trifft sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Sachen Atomkraft mit Fachministern und Unionsministerpräsidenten. Die Runde will dem Vernehmen nach bereits eine Vorentscheidung über die Dauer der AKW-Restlaufzeiten treffen. Kürzlich hatte die Regierung Studien in Auftrag gegeben, die verschiedene Szenarien mit bis zu 28 Jahren längeren Laufzeiten durchrechnen sollten.

Auch bei der Regierungsklausur am Sonntag steht das Thema Atomenergie auf der Tagesordnung. Die plötzliche Hektik macht deutlich, dass das Gerede von Energiekonzept und Brückentechnologie kaum mehr als Tarnung war, um der eigenen Klientel – in diesem Fall Vorstände und Aktionäre der vier großen Energiekonzerne – einen Dienst zu erweisen.

Rund eine Million Euro Gewinn spült der Betrieb eines großen 1300-Megawatt-Kernkraftwerks jeden Tag in die Kasse von RWE, E.on & Co. 17 AKW sind am Netz. Zehn Jahre zusätzliche Betriebszeit bedeuten also rund 60 Milliarden Euro mehr – Stillstandszeiten wegen Pannen einmal außen vor gelassen. Bei so viel Geld fällt es den Unternehmen nicht schwer, einen Teil der Gewinne an den Staat oder einen Fonds zu überführen, wie dies Merkel und verschiedene Bundesminister angeregt haben. Bis zu 50 Prozent Gewinnbeteiligung haben die Konzernchefs schon angeboten, wenn die AKW länger laufen dürfen.

Merkel und ihre Partner wollen heute auch besprechen, wie längere Laufzeiten durchgesetzt werden können. Noch ist nämlich ungeklärt, ob der Bundesrat, in dem Schwarz-Gelb seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen keine Mehrheit mehr hat, einer Laufzeitverlängerung zustimmen muss. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hält eine Einbeziehung der Länderkammer für wünschenswert. Kanzleramtschef Ronald Pofalla und mehrere CDU-Ministerpräsidenten wollen ein Gesetz, dass den Bundesrat umgeht.

Nach dem auch öffentlich ausgetragenen Streit hatte Merkel veranlasst, dass das Bundesinnenministerium und das Justizressort die Zustimmungsbedürftigkeit eines entsprechenden Gesetzes prüfen sollten. Röttgen beauftragte seinerseits den früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, mit einem Gutachten. Laut Papiers Expertise muss der Bundesrat einer Laufzeitverlängerung von AKW zustimmen. Es handele sich nämlich »nicht nur um eine marginale, sondern wesentliche, vollzugsfähige und vollzugsbedürftige Änderung des bestehenden Atomrechts«. Diese sei nach Artikel 87 c des Grundgesetzes »zustimmungsbedürftig«.

Diese Auffassung bestätigt laut Deutscher Umwelthilfe (DUH) auch das Gutachten des Verwaltungswissenschaftlers Prof. Joachim Wieland – ebenfalls von Röttgen in Auftrag gegeben. Wieland gründe demnach seine Rechtsauffassung darauf, dass »mit der Verlängerung der Laufzeit der Kraftwerke auch eine Verlängerung der Auftragsverwaltung und damit der Beschränkung der Verwaltungshoheit der Länder« verbunden sei. Eine solche verlängerte Beschränkung der Länderrechte sei jedoch nur mit deren Zustimmung zulässig.


Rechtslage

Die Bundesregierung möchte den Bundesrat bei der geplanten AKW-Laufzeitverlängerung umgehen, da hier die schwarz-gelbe Mehrheit seit den NRW-Wahlen weg ist. Das Vorhaben birgt aber juristische Fallstricke. Im Bereich Atomrecht haben Länderbehörden zahlreiche Aufgaben, während der Bund weisungsbefugt ist (»Bundesauftragsverwaltung«). Theoretisch gäbe es drei Varianten, den Bundesrat zu umgehen:

1. Der Bund überlässt diesen Bereich gänzlich den Ländern. Allerdings dürfte auch dies zustimmungspflichtig sein. Zudem müssten zahlreiche Vorschriften neu geregelt werden, was dies zu kompliziert für die von der Regierung gewünschte rasche Entscheidung macht.

2. Der Bund zieht alle Kompetenzen an sich. Auch dem müssten die Länder zustimmen; womöglich müsste sogar das Grundgesetz geändert werden. Sollte es dazu kommen, müsste der Bund eine eigene Atomaufsichtsbehörde schaffen, was in Zeiten des selbst auferlegten Sparzwangs keine Option ist.

3. Der Bund belässt die Kompetenzen und verlängert lediglich die Laufzeiten der Atomkraftwerke. Allerdings beträfe dies die Länder durchaus. Sie müssten zusätzliches Geld bereitstellen. Und ihre Behörden bekämen neue Aufgaben: statt Abschaltung der AKW die Überwachung des Weiterbetriebs. Vor allem für die besonders störanfälligen Uraltmeiler wären neue Sicherheitsvorschriften u. a. für Nachrüstungen nötig; die Zwischenlagerkapazitäten für Atommüll müssten erhöht werden.

Die Bundesregierung überlegt einen Trick: die Aufsplittung in zwei Gesetze. Der Bundestag beschließt mit schwarz-gelber Mehrheit im Alleingang die Laufzeitverlängerung. Ein zweites Gesetz, das die gesamten Sicherheitsaspekte umfasst und zustimmungspflichtig ist, kommt auch in den Bundesrat; hier dürfte, so das Kalkül, kein Land dagegenstimmen. Juristisch ist indes umstritten, ob die Variante mit zwei Gesetzen verfassungskonform wäre. Karlsruhe wäre am Zug. Kurt Stenger

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