Neues aus der Anstalt

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Neues aus der Anstalt

Viele Sprachen kennt die Welt, doch keine sagt genauer als die deutsche, was sie meint. Nehmen wir das Wort Wasser. Der Franzose sagt statt Wasser l’eau. Kein Deutscher versteht ihn. Der Italiener sagt l’acqua. Auch er bleibt unverstanden. Der Engländer sagt the water, und allmählich kommen wir der Sache näher. Water! Der Deutsche aber ist der einzige, der klar und deutlich Wasser sagt.

Um diese Klarheit beneidet uns die Welt. In Deutschland heißen Gesetze Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung oder Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz mit Niveausicherungsklausel.

Darunter kann sich auch der bildungsferne kleine Mann etwas vorstellen. Naturfreunde bezeichnen das Unkraut als Spontanvegetation, Autobauer nennen den Blinker nicht Blinker, sondern Fahrtrichtungsanzeiger. Denn es geht ja nicht nur um Genauigkeit, sondern auch um Präzision. Auf dem Beipackzettel meiner Schlummerpillen steht: »Vorsicht, Schlaftabletten! Einnahme kann Müdigkeit auslösen.« Ebenso prägnant drückt der hessische Lehrerverband sich in einer Info aus: »Besteht ein Personalrat aus nur einer Person, so erübrigt sich die Trennung nach Geschlechtern.«

Deutsche Akkuratesse ist weltweit die akkurateste. Darum gilt der humoristische Paragraph 49 der Allgemeinen Post-Dienstanordnung zu Recht als das Hohelied auf wortmächtige Bureau-Stilisten: »Der Wertsack ist ein Beutel, der auf Grund seiner besonderen Verwendung im Postbeförderungsdienst nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht , die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden.« Speziell diese Definition dient ehrgeizigen Arbeitsagenturen als nachahmenswertes Beispiel: »Welches Kind erstes, zweites, drittes oder weiteres Kind ist, richtet sich nach der Reihenfolge der Geburten.«

Das ist schon mal ganz lustig, doch bleibt noch viel zu tun. So sieht es auch Heinrich Alt. Er ist Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, die die Arbeitslosen so gern in Lohn und Brot bringen möchte. Vor ein paar Jahren hieß seine Agentur noch Bundesanstalt. Westerwelle & Friends wollten sie am liebsten auflösen, die Bundesanstalt aber entzog sich ihrer Zerschlagung durch Umbenennung. Mit Umwidmungen hat sie stets größere Erfolge erzielt als mit Fördern und Fordern und dem Ringen um Arbeitsplätze.

Seine Anstalt, verkündet Heinrich Alt, werde nun Schluss machen mit unverständlichem Amtsdeutsch. Von nun an sollen alle Bescheide so formuliert werden, dass die Opfer sie verstehen können. Sieht ganz danach aus, als käme sogar bei Hartz IV etwas in Bewegung. Frau von der Leyen, die Arbeitsministerin, sucht nach einem neuen Begriff für das Armut-per-Gesetz-Gesetz. Sie will, dass Hartz IV – »das Wort«, wie sie sagt – aus dem Sprachgebrauch verschwindet. Doch alle Vorschläge, die ihr zuflattern, sind leider viel zu zutreffend: McHartz, Knartz IV, Murks V, Revolutionsvorbeugungsgeld oder Volksverarschungshilfe.

Hartz IV-Bescheide sind übrigens noch schwerer zu kapieren als deutsche Steuer- und Rentenbescheide, sogar eine chinesische Gebrauchsanweisung für den iPod ist benutzerfreundlicher. In einem mir bekannten Hartz IV-Bescheid heißt es: »Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62 und 65 nicht nach, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung ganz oder teilweise entziehen…«

Dieser Text ist entschieden zu gutmütig. Der muss drohender kommen, Herr Alt, damit er den hohen Ansprüchen der Verfolgungsbetreuung genügt. Kandidaten, die sich beschweren wollen, können, bitte schön, jederzeit vor Gericht ziehen. Mittlerweile hat die Flut einschlägiger Klagen die halbe Million erreicht, ständig schafft die Justizministerin neue Arbeitsstellen für Richter, und genau darum geht’s doch, gell. Kommentar der Kanzlerin: Sozial ist, was Arbeit schafft.

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