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Die ganz spezielle Art sich zu bewegen

Die Compagnien Toula Limnaios und Jant-Bi erforschen den Umgang mit Körpern

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Die ganz spezielle Art sich zu bewegen

Toula Limnaios’ 28. Arbeit ist ihre größte, anspruchsvollste. Statt sechs Tänzer hat sie diesmal zehn Akteure zu bewegen und nimmt sich dazu 80 Minuten Zeit. »à contre corps« verhandelt, nicht ungewöhnlich im zeitgenössischen Tanz, den Umgang mit Körpern. Die Tänzer der cie. Toula Limnaios mischen sich dazu mit je zwei Frauen und Männern der Compagnie Jant-Bi aus dem Senegal. Gegründet hat diese Gruppe 1998 Germaine Acogny, die Grande Dame des afrikanischen Tanzes. Schon 1968 hatte sie ein Studio eröffnet. Ausbildung blieb neben der Choreografie ihr Hauptgebiet, so auf fünf Jahre in einem Ableger der Schule von Maurice Béjart, mit dem sie, unterwegs zwischen Afrika und Europa, immer wieder gearbeitet hat.

Aus der École des Sables, ihrer 1997 formierten neuen Schule, bis heute Anlaufpunkt auch internationaler Studenten, ging Jant-Bi hervor. Acognys häufig preisgekröntes Engagement verknüpft traditionell afrikanischen Tanz, wie sie ihn von der Großmutter, einer Yoruba-Priesterin, kennt, mit zeitgenössischem Tanz zu ganz eigener Synthese. Das bietet Berührungspunkte und Reibungsflächen mit europäischen Compagnien. So folgte einem Gastspiel der Compagnie aus Berlin 2008 eine Phase gemeinsamen Experimentierens vor Ort. Daraus entstand, was nun in der HALLE uraufgeführt wurde.

»à contre corps« konfrontiert nicht nur Körper, sondern all das, was in sie eingeschrieben ist: Sitten und Sichtweisen, Überlieferungen, Haltungen und die ganz spezielle Art, sich zu bewegen. Dass auch Limnaios’ Truppe international ist, von Brasilien bis Japan, vervielfacht die Unterschiede.

So treffen die Bewegungsmetaphern der Berliner Griechin auf afrikanische Muster in zeitgenössischem Zuschnitt. Pascale Arndtz hat dafür einen Raum geschaffen, der mit hängenden roten Papierstreifen, Steinen als Umfassung, einer nicht genutzten Übereckplastik aus Folie wie ein festlich geschmückter Dorfplatz ausschaut. Zwei Frauen werfen, ganz Limnaios, ihr Haar vor sich Stehenden übers Gesicht, zwei Frauen schieben sich verkeilt und schreikämpfend vorwärts, eine Farbige mit Lämpchengirlande um die Taille zeigt in der Dunkelheit anschaulich Hüftzittern. Eine andere wird, überkopf hängend, von zwei Männern hin und her geschwungen. Dann die Begegnung: Kreuzende Lichtdiagonalen markieren die Pfade, auf denen sich die Gestalten rempeln und gegenseitig behindern, ein Ausweichen nicht möglich.

So beginnt, angeheizt von afrikanischem Sound aus Percussion, Saiteninstrument, Gesang, die Flut von Einzelbildern, wie die Choreografin sie zum Entschlüsseln durch den Zuschauer freigibt und fügt. Eine weiße Tänzerin lebt ihr Fasziniertsein von der Farbe Grün aus, ein Japaner sortiert mit Stäbchen die Glieder seiner Kollegin aus Afrika wie zum Menü um und zieht ihr einen roten Faden aus dem Mund. Hockende Farbige formieren sich zum Tisch, von dem, mit einer Weißen als »Tischdecke«, der Japaner speist, Kritik vielleicht an Rassendünkeln. Synchrontanz auf der Diagonalen demonstriert, wie schwer Weißen afrikanisch polyzentrische Koordination fällt.

Eine der besten Szenen: wenn die Laute seines Kollegen aus Afrika Clebio Oliveira sich in Rage tanzen lassen; eine der witzigsten: wenn Afrikaner sich in japanischer Gestik üben; eine der grellsten: wenn einem Tänzer mit Brot, das auf seinem Kontinent so rar ist, der Schweiß getrocknet wird. Masken verfremden Gesichter, Rassen formieren sich zu aufgeregtem Gegenüber, Weißstaub kommt ins Spiel. Am Ende ringt sich ein Paar, die Weiße geschwärzt, der Farbige geweißt, auf rotem Tuch bis zur Coitus-Pose zusammen. Ob Ritual oder Minstrel-Reminiszenz, bleibt offen wie manches an diesem Abend.

Bis 27.6., 21 Uhr, HALLE, Eberswalder Str. 10-11, Prenzlauer Berg, Kartentelefon 440 442 92, Infos unter www.halle-tanz-berlin.de

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