Der Spieler-Aufsteller wird boykottiert

Frankreichs Spiel gegen Südafrika wird wohl das letzte für Nationaltrainer Raymond Domenech sein

  • Ronny Blaschke, Kapstadt
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieser eine wiederkehrende Gesichtsausdruck könnte die WM länger überdauern als viele ihrer Spiele. Raymond Domenech an der Seitenlinie, auf dem Pressepodium, auf dem Trainingsplatz: Den Kopf leicht gehoben, die Augen weit offen, die Mundwinkel unten. Eine Fassade der Fassungslosigkeit, ohne Regung. Ein Mann, dem jede Entscheidungskraft abhanden gekommen zu sein scheint. Einer, der seinen Dienst aber aussitzen will, komme was wolle. Der französische Trainer Domenech unterscheidet sich darin nicht von vielen Politikern oder Managern. Aber um welchen Preis?

Es geht nicht um die missratene Bilanz eines Fußballteams, es geht um mehr: Die »Équipe Tricolore«, eine der erfolgreichsten Mannschaften der jüngeren Geschichte, Kulturvermächtnis und millionenschweres Wirtschaftsobjekt, ist an den Rand ihrer Daseinsberechtigung getaumelt. Streitigkeiten unter Spielern. Eine wüste Beleidigung des Stürmers Nicolas Anelka gegenüber Domenech, ausgesprochen in der Halbzeitpause gegen Mexiko (0:2). Ein Trainingsboykott des Teams, als Solidarisierung für Anelka, als Protest gegen Domenech. Ein Teammanager, der daraufhin zurücktritt mit den Worten: »Ich bin angewidert.« Und mittendrin: Raymond Domenech.

Der Trainer, der in einer Mischung aus Sturheit und Gelassenheit jede Kritik bislang zu kanalisieren wusste, muss sich nicht mehr nur vor der Presse verantworten, sondern auch vor der Politik. »Grauenvoll«, fasste Außenminister Bernard Kouchner die Seifenoper zusammen. Sportministerin Roselyn Bachelot verlängerte auf Anordnung von Präsident Nicolas Sarkozy sogar ihren Aufenthalt in Südafrika. Sie berief ein Treffen mit Domenech, Teamkapitän Patrice Evra und Jean-Pierre Escalettes ein, dem Präsidenten des Fußballverbands FFF, und mahnte zu »Verantwortung und Wahrung der Würde«. Das ist beispiellos in der WM-Geschichte: Ein mitteleuropäisches Nationalteam wird unter staatliche Aufsicht gestellt. Wie eine Bank nach dem Bankrott.

Verblasst ist der Ruhm, den die Weltmeister von 1998 und die Europameister von 2000 erarbeitet hatten, getilgt die kollektive Identität, die das multiethnische Team um Zinédine Zidane, Marcel Desailly oder Patrick Vieira geschaffen hatten. Raymond Domenech wird als Trainer in die Geschichte eingehen, der aus dem Lieblingskind einen verachteten Stiefsohn mutieren ließ. Daran wird auch das letzte Gruppenspiel am heutigen Dienstag gegen Südafrika in Bloemfontein nichts mehr ändern.

Geliebt haben die Franzosen Domenech nie während seiner sechsjährigen Amtszeit, auch nicht nach dem zweiten Platz bei der WM 2006 in Deutschland, wo sein Team überraschte. Im Nachhinein hat dieser Erfolg geschadet und Probleme überdeckt. Domenech durfte weiter werkeln und verstand es nicht, den Übergang der Generationen zu moderieren.

Wie hätte er seine hoch bezahlten, arroganten Leitfiguren zu Bescheidenheit erziehen können, wenn ihm selbst ein Hang zu Überheblichkeit nachgesagt wird und ihn Wortführer wie Frank Ribéry oder Thierry Henry nicht respektieren? Wie hätte er ein Konzept der Gemeinschaft entwerfen können, wenn ihm Ikonen außer Dienst jedes Talent absprechen? Zidane hatte den 58-Jährigen einen »Spieler-Aufsteller« genannt.

Domenech verantwortet einen Niedergang, der weit reicht. Die französische Auswahl wird nun anders bewertet, von Sponsoren, staatlichen Förderern, Kulturpartnern. »Das alles lässt glauben, dass sie verrückt geworden und sich nicht der Konsequenzen bewusst sind«, kommentiert Bixente Lizarazu, ehemaliger Nationalspieler Frankreichs, die Vorgänge.

Raymond Domenech, früher rustikaler Verteidiger, dekoriert mit acht Länderspielen, wird heute mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen letzen Arbeitstag als Nationaltrainer bestreiten. Danach übernimmt Laurent Blanc. Der Weltmeister von 1998 wird seinen Dienst als Aufbauhelfer antreten.

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