»Reebok« mit »Rehkid«

Studie attestiert 11- bis 15-Jährigen mangelhaftes Wissen über heimische Flora und Fauna

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 6 Min.
In der aktuellen Schulleistungsstudie wurden Neuntklässler in den Fächern Deutsch und Englisch auf Herz und Nieren geprüft. Basis des Tests sind die bundesweiten Bildungsstandards, die jedoch nur ein beschränktes Spektrum umfassen. Wissen über nachhaltiges Wirtschaften etwa spielt in den Bildungsstandard kaum eine Rolle. Das hat Folgen, wie der jüngst veröffentlichte »Jugendreport Natur 2010« belegt.

Das ist aber auch eine merkwürdige Frage: »Wie viele Eier legt ein Huhn pro Tag?« Ausgedacht hat sie sich – wie auch rund 150 weitere – der Marburger Natursoziologe Rainer Brämer für seinen »Jugendreport Natur 2010«. Für diesen wurden von Februar bis Mai über 3000 Sechst- und Neuntklässler aller Schulformen aus sechs Bundesländern mit Schwerpunkt Nordwestdeutschland auf ihr naturkundliches sowie land- und forstwirtschaftliches Basiswissen hin getestet.

Wie viele Eier also? »Ich legte jeden Tag ein Ei und sonntags auch mal zwei«, sangen die legendären Comedian Harmonists einst fast treffend, doch das Berliner Sänger-Ensemble wird eher selten auf YouTube oder Viva gezeigt. In Wahrheit schaffen die knapp 26,7 Millionen hochgezüchteten und schnell ausgelaugten Legehennen in Deutschland nicht mal ein Ei pro Tag, sondern statistisch 0,8 – übrigens auch sonntags.

Doch 17 Prozent der befragten Schüler meinen, die Hühnerfrau schaffe zwei Eier, jeweils 13 Prozent wollen der Henne sogar drei beziehungsweise vier bis sechs Eier unterschieben. »Dass Hühner einen ganzen Tag brauchen, um ein Ei zu produzieren, kann sich nur jeder dritte Schüler vorstellen«, bemängelt Rainer Brämer in einer veröffentlichten Kurzversion der Studie. »Eine moderne Eierproduktionsmaschine sollte ihrer durchschnittlichen Meinung nach drei Eier herstellen.« Exakt beträgt der Mittelwert der Antworten sogar 3,1 Eier pro Tag.

Zur nächsten Frage: In welcher Himmelsrichtung geht die Sonne auf? Nur 59 Prozent der Schüler wussten es: im Osten. Das ist immerhin mehr als die Hälfte. Aber reicht das? »Obwohl sich die Jugend trotz Klimakatastrophe auf nichts mehr freut als auf einen heißen Sommertag, sind der sphärische Lauf des Wärmespenders oder die von der Sonne markierten Himmelsrichtungen fast der Hälfte fremd«, bedauert Brämer. »Jeder Neunte lokalisiert die Sonne sogar im Norden, wo sie – zumindest in unseren Breiten – nimmermehr hingelangt.« Und wie heißt das Junge vom Hirsch? Acht Prozent der Befragten antworten – sicher zum Jammer der Deutschlehrer – mit »Rehkid«, neun Prozent mit »Reh«, 13 Prozent mit Rehkitz und 19 Prozent mit »Kitz/Kits«. Doch nur sechs Prozent wissen die richtige Antwort: Kalb im Sinne von Hirschkalb. Das passt zu der Alltagsbeobachtung, dass auch viele Erwachsene das Reh für die Geschlechtspartnerin des Hirschs halten. Dabei paart sich dieser mit der Hirschkuh, das Reh mit dem Rehbock. Übrigens gaben 32 Prozent der Kinder, also ein knappes Drittel, gar keine Antwort. Man darf unken, »Reebok« hätten die Schüler womöglich erkannt, zumal da so etwas ja auch im Wald vorkommt, wenn auch bloß als Sportschuh an den Füßen von Dauerläufern.

Nun ist ja nicht so, dass die Kinder über Tiere gar nicht Bescheid wüssten. Bloß über welche? »Wenn man sie fragt, welcher der gefährlichste Saurier war, sagen sie sofort: Tyrannosaurus rex, und auch den Triceratops mit den drei Hörnern kennen sie, aber nicht die Tiere in unseren Wäldern«, sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdschutz-Verbandes, der die Studie gemeinsam mit der »Schutzgemeinschaft Deutscher Wald« und dem Lehrer-Infodienst »information.medien.agrar e.V. (i.m.a)« unterstützt hat.

Auch die unbelebte Natur war Gegenstand der Wissbegier Brämers. »Wie viele Wochen liegen zwischen zwei Vollmondnächten?«, wollten der Naturkunde-Forscher und der Winterberger Waldpädagoge Hans Schild als Organisator der Befragung wissen. Nur 40 Prozent der befragten Kinder antworteten frei von der Leber weg und korrekt: vier Wochen. Immerhin jeder fünfte Schüler gab eine bis drei Wochen zur Antwort, jeder siebte sogar fünf bis zehn. Brämers Schluss daraus: »Schon der schlichte Anblick des Nachthimmels scheint für mehr als die Hälfte der Befragten so ungewohnt zu sein, dass ihnen der äußerst regelmäßige Mondzyklus noch nicht aufgefallen ist.« Nicht nur bei dieser Frage schnitten Landkinder kaum besser ab als Stadtkinder. »Insgesamt verfügen sie nur in vier von 15 alltagsnahen Fragen über ein nennenswert, aber auch nicht übermäßig besseres Naturwissen, obwohl sie weitaus näher am Puls der Natur leben«, merkt der Natursoziologe an.

Allerdings enthält bereits die Kurzversion der Studie Fragen, bei denen falsche Antworten wirklich nicht wundern – etwa diese: Wie heißen die Früchte der Rose? Zum Erstaunen auch so mancher Erwachsener sind es die Hagebutten, auf die man im Falle der Hundsrose schon eher kommen könnte. Zehn Prozent der Schüler haben diese korrekte Antwort auch mit Blick auf die Zierrose, 13 Prozent hielten die Knospe oder die Blätter für die Rosenfrüchte und 44 Prozent enthielten sich hier einer Antwort.

Knifflig – und aus Sicht von Kindern sehr alltagsfern – auch die Frage: »Aus welcher Holzart werden Dachstühle gebaut?« 44 Prozent trauten sich keine Antwort zu, 24 Prozent nannten die Eiche, 10 Prozent die Buche und nur 8 Prozent die Fichte, wobei sie diese bisweilen Tanne nannten. »Dass wir der Fichte zu weit über 90 Prozent den Dachstuhl über dem Kopf verdanken, weiß noch nicht einmal jeder zehnte Jugendliche«, wundert sich Rainer Brämer. Doch ebenso hätte er fragen lassen können, woraus Geigen gefertigt werden.

Fairer war die Frage nach der Farbe der – gelben bis roten – Fichtenblüten. Denn schließlich ist die Fichte, missverständlich auch Rottanne genannt, mit 28 Prozent Anteil mit Abstand der häufigste Baum in deutschen Forsten, während sie in natürlichen Wäldern hierzulande vielerorts gar nicht oder kaum vorkäme. »In Nadelwäldern sollte der gelbe Pollenstaub auf den Pfützen irgendwann einmal die Wissbegier von Heranwachsenden herausgefordert haben, sich die Blüten näher anzuschauen«, meint Brämer. Und nicht weniger fielen die »vom Wind herabgezausten roten Blütenstände als Vorboten der Zapfen ins Auge«.

Die Gründe für die »Naturvergessenheit« reichen aus Sicht des Wissenschaftlers von der »weitestgehend in klimatisierten Räumen und Fahrzeugen verbrachten Zeit« und die »zahlreichen technischen Hilfsmitteln zur Erleichterung des Alltagslebens über die Medien, deren Reizintensität in der natürlichen Umwelt nicht Ihresgleichen findet, bis zu den Eltern, die schon länger in dieser Welt leben und kaum noch Naturerfahrungen an ihren Nachwuchs weitergeben können«. Häufig genug hielten die Eltern ihre Sprösslinge »aus überbehütender Ängstlichkeit« von Naturerlebnissen sogar gezielt ab.

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt: 74 Prozent der Schüler geben an, sie würden am liebsten unbekannte Landschaften entdecken – was immer sie darunter verstehen – oder machten dies bereits gerne. 53 Prozent nennen »im Wald Mountainbike fahren«, 56 Prozent »quer durch den Wald gehen«, und 49 Prozent würden gerne Rehe in freier Wildbahn beobachten oder schätzen dies bereits heute. Vielleicht lässt sich hierauf ja aufbauen.


Zitzen und Weißkohl

Von Zitzen, Sauerkraut und Handy-Rohstoffen – weitere Fragen und Antworten

Wie viele Zitzen hat das Euter einer Kuh?
Immerhin 64 Prozent wussten Bescheid: vier. 18 Prozent tippten auf sechs Zitzen.

Woraus wird Sauerkraut hergestellt?
Richtig machten es 44 Prozent: aus Kohl, genauer Weißkohl. Doch 50 Prozent wussten gar nichts zu nennen.

An welcher Art von Pflanzen wachsen Walnüsse?
52 Prozent antworteten korrekt: an Bäumen, 39 Prozent gaben keine Antwort.

Wenn du über die Rohstoffe nachdenkst, aus denen ein Handy gemacht ist: Was meinst Du, wie viel Prozent davon kommen aus der Natur?
Korrekt wären natürlich: 100 Prozent, doch das sagen nur 4 Prozent der Schüler. Fast ein Viertel meint sogar, gar kein Handy-Rohstoff sei natürlich entstanden.

W.S.

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