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Behörde findet keine No-Go-Areas

In Brandenburg ist der Widerstand gegen Nazis gewachsen. Doch deren Zahl bleibt hoch

  • Haiko Prengel, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Für Rechtsextremisten schwindet in Brandenburg nach Einschätzung des Verfassungsschutzes immer mehr der Rückhalt in der Bevölkerung. Der Widerstand habe sich in der Zivilgesellschaft seit 2006 Jahr für Jahr verstärkt, erklärt die Behörde.

Potsdam. Es war ein Mahnruf, der großen Wirbel auslöste: Zur Fußball-WM 2006 warnte der ehemalige Sprecher der rot-grünen Bundesregierung, Uwe-Karsten Heye, vor ausländerfeindlichen »No-Go- Areas« in Brandenburg und anderswo in Ostdeutschland. Vor allem Dunkelhäutige sollten sich lieber von solchen Gefahrenzonen fernhalten, riet Heye.

Vier Jahre später scheint es sie nicht mehr zu geben. Aufmärsche von Neonazis werden in Brandenburg mittlerweile reihenweise von Bürgerbündnissen verhindert. Die DVU – bis 2009 zehn Jahre lang im Landtag – ist in Auflösung begriffen, die NPD könnte alsbald Nachwuchsprobleme bekommen.

Zu verdanken sei dies der »starken Zivilgesellschaft«, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt habe, erklärt die Leiterin der landesweiten Koordinierungsstelle »Tolerantes Brandenburg«, Angelika Thiel-Vigh. Von lokalen Bündnissen der Bevölkerung über engagierte Bürgermeister und Landräte bis hin zu aktiven Verbänden wie dem Landesfußballverband sei das Netz an Akteuren gegen Rechts inzwischen außerordentlich dicht.

Studie konstatiert Wandel

»Die ganze Gesellschaft geht sehr offen mit dem Thema um, da ist ein unglaublicher Prozess in Gang gekommen«, stellt Thiel-Vigh fest. Der Begriff der »No-Go-Areas« sei schon 2006 »überzogen« und realitätsfern gewesen, heute treffe er erst recht nicht mehr zu. Der brandenburgische Verfassungsschutz hat die gleichen Beobachtungen gemacht. Seit 2006 habe sich die Zivilgesellschaft im Land Jahr für Jahr verstärkt, sagt die Leiterin der Behörde, Winfriede Schreiber. »Weggeguckt wird nicht mehr, es wird hingeguckt.«

Offensichtlich ist es in den Köpfen vieler Bürger zu einem Sinneswandel gekommen – das belegt auch eine Studie der Friedrich- Ebert-Stiftung. Danach waren 2008 knapp 35 Prozent der Brandenburger ausländerfeindlich eingestellt; 2006 hatte der Anteil noch bei knapp 50 Prozent gelegen. Vor allem ließen sich heute immer weniger Jugendliche auf Rechtsextremisten und ihr Gedankengut ein, haben die Verfassungsschützer beobachtet. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Wohl auch mit dem »Leidensdruck« vieler Bürger, den schlechten Ruf Brandenburgs und Ostdeutschlands allgemein beim Thema Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen, sagt Schreiber. »Und aus der Erkenntnis, dass die Verteidigung der Demokratie vor allem Angelegenheit der Bürger ist. Das kann nicht allein den Sicherheitsbehörden überlassen werden.« Zusammen bildeten der Staat und couragierte Bürger heute ein »starkes Netz« gegen Rechts.

Schreibers Behörde hat gleichwohl immer noch gut zu tun. Die Zahl der Rechtsextremisten in Brandenburg verharrt seit Jahren auf einem konstanten Niveau zwischen 1200 und 1300. Und trotz aller Erfolge gebe es auch immer wieder bittere Rückschläge, räumt Schreiber ein. Etwa im vergangenen Januar, als Neonazis in Zossen das »Haus der Demokratie« anzündeten. Unter anderem wurde dabei eine Ausstellung über jüdisches Leben zerstört.

NPD-Hochburg Potsdam

In der Landeshauptstadt Potsdam sind wiederum die »Jungen Nationaldemokraten« sehr umtriebig, die Jugendorganisation der NPD. Mit großer Sorge beobachtet der Verfassungsschutz auch die Lausitz, wo nach seinem Eindruck freie neonazistische Kräfte besonders aktiv sind. Aber richtig entfalten könnten sich die Rechten auch in diesen Problemregionen nicht mehr, versichert Schreiber. Auf Dauer sei der Widerstand der Bevölkerung zu groß.


41 Anschläge auf Büros der Linkspartei

Potsdam (ND). Mindestens 41 Anschläge auf Büros der Linkspartei hat es seit 2008 im Land Brandenburg gegeben. Zwölf Attacken ereigneten sich 2008, 18 ein Jahr später. 2010 wurden bislang elf Angriffe gezählt. Dies teilte Christoph Schulze vom Verein Opferperspektive mit. Der jüngste Anschlag erfolgte demnach am 4. Juni 2010 in Pritzwalk – dort wurden die Scheiben der Gebietsgeschäftsstelle eingeworfen. »Drei Wochen später beklebten unbekannte Täter sämtliche Fenster der Geschäftsstelle in Jüterbog mit rechten Parolen.« Meist wurden nachts Fensterscheiben eingeworfen. »Die Täter hinterlassen aber auch Hakenkreuze oder werfen Farbbeutel.« In allen gezählten Fällen gehen die Betroffenen von einer rechtsextremen Motiven der Täter aus, erklärte Schulze. Die Kreisgeschäftsstelle in Königs Wusterhausen stehe »offenbar besonders massiv im Fokus«. Dort habe es seit März 2009 sieben Angriffe gegeben.

Die Opferperspektive hatte bei 35 Parteibüros der LINKEN nachgefragt. Es sei jedoch davon auszugehen, dass nicht nur die LINKEN betroffen sind. Dies zeige ein Vorfall vom 22. September 2009. »Ein 24-Jähriger beschimpfte und beleidigte damals Mitarbeiter der SPD-Geschäftsstelle in Eberswalde, randalierte im Büro und zeigte anschließend den Hitlergruß.« Bereits im Dezember 2005 hatten Neonazis das Büro der Landtagsabgeordneten Martina Münch (SPD) attackiert.

Anlass für die Recherche der Opferperspektive sei »die angespannte Situation in Mecklenburg-Vorpommern« hieß es. »Dort wurden im April auf einer NPD-nahen Internetseite die Adressen der Büros aller demokratischer Parteien veröffentlicht. Seit der Publikation der Adressen wurden 17 der gelisteten Parteibüros angegriffen.« Seit 2009 habe es laut ARD-Fernsehen in der Bundesrepublik 95 Anschläge auf Parteibüros gegeben.

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