Wenn die Biber in der Morgenstunde, ...

Erkundungen per Kanu zwischen Cuxhaven und Lausitzer Seenland

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 6 Min.
Himmlische Zukunftsregion: Lausitzer Seenland wartet noch etwas auf Verbindungskanäle und Touristen
Himmlische Zukunftsregion: Lausitzer Seenland wartet noch etwas auf Verbindungskanäle und Touristen

Nach drei Paddeltagen in der Uckermark zwischen Lychen und Templin soll es heute endlich so weit sein: Frühstücksbesuch bei Bibers. Als Empfehlung reiche neben Kenntnis des Platzes schlicht Lautlosigkeit. Versichern Christoph und Jogi, die anders als wir nicht zum ersten Mal hier sind.

Gegen 4 Uhr schieben wir die Kanus ins Wasser. Vor uns zwei Kilometer See, also Zeit genug, um sich ans stille und stumme Paddeln zu gewöhnen. See und Eingang zum sich zur Havel windenden Fließ, dort, wo die Biber wohnen, sind morgendämmerdunstverhangen. Magische Zwielichtigkeit, die die Grenze zwischen Wasseroberfläche und Raum verwischt, uns samt Kanus schier ins Sphärische hebt. Wir paddeln nicht mehr, sondern schweben durch unberührtes Morgengrau.

Klatsch, platsch, flutsch. Familie Biber begibt sich nach der Morgentoilette mit einer Saltowende zum Frühstücksbüfett. Zielstrebig, Kopf und Schwanzkelle eine Linie, steuern die passionierten Vegetarier die Wurzelspitzen und Kräuter entlang der Uferlinie an. Bei uns ist Atemanhalten und tiefe Paddelruh. Biber sind vorsichtig, aber nicht ängstlich, eher neugierig als scheu. Kanus kennen sie schon; ab und an lästig, aber völlig ungefährlich. Nun tauchen noch ein paar kleine, ganz sicher auch schon schlaue Köpfchen auf. Die Strömung treibt uns vom Bau weg. Wenden, sich bewegen, die Stille stören? Die Biber nehmen uns die Entscheidung ab. Sie folgen uns einfach. Dann schließlich noch mal klatsch, platsch, flutsch vor dem Bug, hinterm Heck, irgendwo zwischendrin. Das Frühstück ist so abrupt zu Ende wie es begonnen hat. Inzwischen streift die Sonne bereits die Erlenspitzen am Ufer.

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Hamburg, Innenstadt, Kennedybrücke, nicht weit vom »Vier Jahreszeiten«. Von dem kleinen Anlegesteg aus gibt es per Kanu zwei Wege, sagt Wibke. Raus bis Cuxhaven, wo der Rest der Welt beginnt, 90 Elb-, in die Stadt hinein insgesamt 300 Kanalkilometer.

Wir steuern erst einmal stadteinwärts. Die Alster ist längst nicht alles. Leinpfandkanal, Isebekkanal und Rondeelteich, Goldbekkanal, Stadtparksee und Osterbekkanal. Parallel zu allen fährt man sonst oben mit Bus oder Auto entlang. Und ahnt so gut wie nichts von der Abgeschiedenheit hinter und zwei Meter unter den Baum- und Strauchreihen an der Straße.

Und unten ahnt man nichts von oben. Nur hier und da erinnern Klinkerreste einstiger Fabrikfundamente daran, dass man sich inmitten einer Millionenstadt befindet. Ansonsten feinstes Biotop. Und feinste Wohngegend. Die paar Grundstücke zum Feenteich hin haben keine Namensschilder am Eingang. Nicht aus Sicherheitsgründen, sondern einfach deshalb, weil es seit 150 Jahren die gleichen Nachbarn sind. Der Quadratmeter dieser verwunschenen Wunschwelt ist zwischen 8000 und 10 000 Euro gelistet.

Anderntags paddeln wir von Hamburg-City für zwei Tage in Richtung Nordsee. Erst Alsterarkaden, Kontorhäuser am Fleet. Venedig nicht unähnlich. Aber nach Blankenese, Wedel und dem Abzweig in die Haseldorfer Binnenelbe plötzlich eine andere Welt. Dichtes, gelbes Schilfgras, am Ufer Gallowayrinder. Die Insel Krautsand, Campingplatz »Am Leuchtturm« – und die Flut.

Am nächsten Morgen lassen wir uns von Paddel und Strömung weiter in Richtung Nordsee treiben. Da schließlich Otterndorf, noch weiter im Westen Cuxhaven. Auch per Kanu also möglich: Gestern noch Megapolis und heute Meer. Ganz so wie es bereits Altmeister Goethe wusste: Das Angenehme am Reisen ist, dass auch das Gewöhnliche durch Neuheit und Überraschung das Ansehen eines Abenteuers gewinnt.

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Wobei Neuheit und Überraschung gar die Tendenz zum Unwirklichen haben können. Das Lausitzer Seenland ist dafür ein Exempel. Mit Basti und Nicole umkurven wir erst einmal per Kanu die Insel inmitten des Senftenberger Sees. Rauf darf man nicht, sie ist ein Naturschutzgebiet. Aber auch nicht ganz ungefährlich, denn sie besteht aus aufgeschüttetem Abraum des einstigen Tagebaus.

Mit diesem See begann die Idee des DDR-Landschaftsplaners Otto Rindt vor 35 Jahren Gestalt anzunehmen: eine Seenkette aus gefluteten Braunkohlegruben. Die Senftenberger war die erste, und der 1972 entstandene See ist mit 13 Quadratkilometern der größte künstliche Europas. Inzwischen gibt es rund 20 ähnliche im Revier. Doch ihnen fehlen noch ein paar Jahrzehnte, um dem Namen Seenland wirklich gerecht zu werden. Die aktuelle Wasserwanderrealität stößt sich an harschem Schotter am Seerand oder an sandigen, noch kärglich bewachsenen Ufern, nicht selten aus Sicherheitsgründen mit Sperrgebietsschildern bestückt. Auch am Wasser mit essigähnlichen pH-Werten.

Vor allem fehlen noch schiffbare Verbindungskanäle. Etliche sind im Bau, doch wer heute beispielsweise vom Senftenberger auf den Sedlitzer oder Geierswalder See will, muss das Kanu weiterhin aufs Autodach laden. Vom ebenfalls nahen Ilsesee bei Großräschen ganz zu schweigen. Der muss noch jahrelang geflutet werden. Seine Landungsbrücke ragt noch ins Trockene; vom »Seehotel« ahnt man den See mehr als dass man ihn sieht.

Dennoch übt all das einen unwiderstehlichen Reiz aus. Nämlich eben den des Unwirklichen. Gestern noch Schluchten, Halden, Wüste, Jeepsafariland. Morgen vielleicht tatsächlich neue, blühende Kultur- und Naturlandschaften. Das Lausitzer Seenland ist also durchaus Zukunftsregion. Besonders spürt das, wer an der Seite von Frank-Peter vom Flugplatz Welzow aus eine Runde drüber macht. Eine wirklich faszinierende Gegend, zumal die irdischen Probleme von oben aus gesehen ganz klein erscheinen.

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Im Hafencafé von Malchow scheinen solche Probleme in diesen Sommertagen auch ganz klein. Das Städtchen mit seiner berühmten Drehbrücke liegt mitten in der Mecklenburger Seenplatte. Hier haben Eiszeit und die Tausenden Jahre danach für das heutige Wassersportparadies gesorgt – das irgendwann in der Lausitz per Menschenkopf und -hand ähnlich auch mal entstehen soll.

Mit Sven sind wir auf Kanutour vom Kölpin-, übern Fleesen- zum Plauer See. Sven liebt alle diese glitzernden Gewässer, und er lebt mit seinem kleinen Bootsverleih von ihnen. So schlecht und recht, wie er sagt, aber alles in allem ganz glücklich und zufrieden.

Zufrieden ist er übrigens nicht zuletzt wegen zahlreicher Hotelneubauten. Die bringen auch ihm Touristenkundschaft, sagt er. Allein für »Land Fleesensee« seien in den letzten zehn Jahren 220 Millionen Euro verbaut worden. Ob er das Lausitzer Seenland, wo es gleich um Investitionen von vielen Milliarden Euro geht, schon als Konkurrenz empfinde? Nee, meint er, wir haben doch hier längst alles pikobello, zumindest was Wasser, Flora und Fauna angehe. Dort in der Lausitz gewesen sei er allerdings noch nicht, sagt er. Aber neugierig schon. Also vielleicht mal im Urlaub mit dem Kanu runter.

  • TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH, www.reiseland-brandenburg.
  • Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern, www.auf-nach-mv.de.
  • Uckermark-Kanu: E-Mail: info@naturpark-streifzuege.de
  • Hamburg-Kanu: www.goldfisch.de
  • Fleesensee-Kanu: www.wassersport-fleesensee.de
  • Lausitz-Kanu: www.senftenberger-see.de
Still und stumm: In der Uckermark vor Sonnenaufgang unterwegs zum Biberfrühstück.
Still und stumm: In der Uckermark vor Sonnenaufgang unterwegs zum Biberfrühstück.
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