Eine Frage des Maßstabes

Erwerbsloser kritisiert im Offenen Kanal Berlin das Beschäftigungsprojekt »Fahrgastbetreuung im ÖPNV«

  • Antje Stiebitz
  • Lesedauer: 3 Min.
Öffentlich geförderte Beschäftigungsprojekte sollen Erwerbslosen den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Hartmut Noack hat an einem Projekt teilgenommen, zweifelt an dessen Sinnhaftigkeit. Er hat seine Erfahrungen medial aufgearbeitet.
Fahrgastbetreuung – zu tun gäbe es genug
Fahrgastbetreuung – zu tun gäbe es genug

Hartmut Noack interessiert vor allem eins: Wie kann man das Projekt noch zum Guten wenden? Mit dem Projekt meint er die Arbeitsgelegenheit »Fahrgastbetreuer im ÖPNV«, das ihm das Berliner Arbeitsamt Treptow-Köpenick vermittelte. Die Stellenbeschreibung, betont Noack, habe sich gut angehört: Die Teilnehmer würden beispielsweise Personen über Tarife oder Verkehrsverbindungen informieren. Gefordert wurden ein offenes und freundliches Auftreten, angemessene Umgangsformen und ein gepflegtes Erscheinungsbild. Die zunächst angebotenen zwei Monate lehnte er ab, weil sie ihm zu kurz erschienen. Doch für sechs Monate war er bereit, zog eine hellgrüne Weste an und betreute Fahrgäste am Wittenberg- und Alexanderplatz.

Die »Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante« nahm er nicht nur an, weil ihm die Kürzung der Regelleistung drohte. Er habe sich das Ganze, wie der Journalist Günther Wallraff, von unten anschauen wollen. Er lieh sich eine Kamera von »Alex – Offener Kanal Berlin« (OKB) und drehte einen Film für das Erwerbslosenmagazin »Helden der Nichtarbeit«. Das Magazin produziert er bereits seit zehn Jahren, um den Erwerbslosen regelmäßig eine Stimme zu verleihen. Die Bezeichnung »erwerbslos« statt »arbeitslos« sei wichtig, so Noack, denn Arbeit gebe es reichlich, sie müsse aber auch ausreichend bezahlt werden.

Zierlich und mit wachen Augen steht der 54-Jährige bei der Vorproduktion vor der Kamera, diskutiert über die Konzeption des Films und spricht seine Texte ein. Der OKB ist sein Forum. Hier kann er Erlebtes berichten, analysieren und seinen Unmut kundtun. Provokant bezeichnet er die ihm angebotene Maßnahme als »einen Verschiebebahnhof für die Statistik und eine Möglichkeit, Fördergelder zu kassieren«. Noack beschwert sich nicht über die Arbeit der Fahrgastbetreuung; er moniert, dass sie ins Leere geht und die Teilnehmer nach kurzer Arbeitsphase wieder auf der Straße stehen. Seiner Ansicht nach werden hier Steuergelder verschwendet, um Scheinarbeitsplätze zu schaffen. »Gut wäre es, wenn die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sich dafür entscheiden könnte, die Ausgebildeten einzustellen«, erklärte er. Er wünscht sich einen Runden Tisch aller Verantwortungsträger. Sie sollten prüfen, ob die Maßnahme für Interessierten unbefristet ausgebaut werden kann.

Seine Filmbeiträge zeigen die Standorte, an denen er von November 2009 bis Mai 2010 Fahrgäste betreut hat. Außerdem hat er vier Interviews zum Thema geführt. Immer wenn seine Interviewpartner seine Thesen untermauern, beginnt sein ernstes und konzentriertes Gesicht zu strahlen. Beispielsweise wenn die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der LINKEN, Elke Breitenbach, erklärt, dass gerade kurze Arbeitsmaßnahmen sinnlos sind, oder Axel Schröder, der Gesamtpersonalrat der BVG, die Kompetenz der verantwortlichen Bildungsträger anzweifelt. Oder wenn Bernd Wagner, stellvertretender Vorsitzender des ver.di-Erwerbslosenausschus-

ses, von Lohndumping spricht und ihm die Gestalttherapeutin Katharina Stahlmann bestätigt, dass eine solche Perspektivlosigkeit psychisch kaputt mache.

Die für das Projekt verantwortliche Berufsvorbereitungs- und Ausbildungsgesellschaft (bbw) gibt als ein Ziel der Fahrgastbetreuung an, dass »Langzeitarbeitslose eine Chance auf dem Arbeitsmarkt mit Perspektiven erhalten«. Doch nach Angaben von Christine Claußnitzer, der Geschäftsbereichsleiterin der bbw, haben von berlinweit 150 Projektteilnehmern nur acht Personen den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt geschafft. Trotzdem ist sie der Meinung, dass die Gelder des Berliner Senats, der Jobcenter, des Bundes und der EU sinnvoll investiert sind. Sie erlebe jeden Tag, dass die Menschen in dem Projekt bleiben wollten.

Noack, selbst Mitglied des ver.di-Erwerbslosenausschusses, lacht ein wenig hilflos. Für ihn sei das eine Frage des Maßstabes: »Wenn Sie keine gewerkschaftlichen Maßstäbe anlegen, dann ist das eine gute Sache.« Sein Engagement zielt eher auf eine radikale Änderung des Arbeitsbegriffes ab. Am vergangenen Mittwoch war der erste Teil seiner Dokumentation auf OKB zu sehen. Der zweite Teil wird voraussichtlich am 28. Juli zwischen 15.30 Uhr und 16.30 Uhr ausgestrahlt.

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