Gestaltungsmacht in jedem Wort

Bundeskanzlerin Merkel sieht die Koalition nicht in der Krise, ganz im Gegenteil

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Angela Merkel hat ihre letzte öffentliche Amtshandlung vor Urlaubsantritt hinter sich gebracht – ihren jährlichen Auftritt vor der Bundespressekonferenz. Nichts schien ihr mehr die Vorfreude auf die schönste Zeit des Jahres vergällen zu können.

Die Bundeskanzlerin lässt sich die Arbeit ihrer Regierung nicht madig machen. Auch Hinweise auf den Streit in der Koalition um so ziemlich alle großen Projekte, die auf der Tagesordnung stehen, können sie dabei offenbar nicht beirren. Sie bestand darauf, dass die Koalition Erfolge beim Navigieren in Wirtschafts- und Finanzkrise vorzuweisen habe, Deutschland stehe im Vergleich gut da, international werde es gar als Wunder wahrgenommen, dass der Arbeitsmarkt konsolidierter sei als vor der Krise.

Allein zum Umgangston in der Koalition ließ Merkel sich eine kritische Bemerkung entlocken. Den habe sie bereits kritisiert, der habe sicher seinen Anteil auch an den aktuellen Umfragewerten der Koalitionsparteien. Der Ton sei teilweise nicht akzeptabel gewesen. Aber den Streit beispielsweise zwischen Mitgliedern ihrer Regierung und CSU-Chef Seehofer hält sie für aufgebauscht. Seehofers vorwiegende Beschäftigung sei nicht das Polarisieren, das könne sie den Anwesenden versichern. Ähnlich ihre Laudatio für Kanzleramtschef Ronald Pofalla, dem nachgesagt wird, er liege mit mehreren Ministern quasi in einer Dauerfehde. Pofalla sei ein »Versöhnungswerk auf Rädern. Wenn Sie wüssten, über was man alles streiten kann, dann wüssten Sie, was für eine gute Arbeit Ronald Pofalla macht.« Probleme durch den Abschied eines halben Dutzends CDU-Ministerpräsidenten? Warum denn? Einmal heiße es, die kleben an ihrem Stuhl, dann gelte wieder das Gegenteil. Den Nachfolgern gälte es jetzt eine Chance zu geben, »die sollen ihre Akzente setzen«.

Merkel sieht auch den Streit um das Sparpaket der Koalition vor dem Hintergrund des Kräftespiels zwischen Wirtschaftsmächten – Alternativen zum Sparen liegen außerhalb ihrer Betrachtung. »Ich habe immer gesagt, in der Krise werden die Karten neu gemischt.« Es komme darauf an, stärker aus ihr hervorzugehen, darauf, die sozialen Sicherungssysteme krisenfest zu machen und darauf, den Haushalt zu konsolidieren.

Was natürlich, so räumte die Regierungschefin ein, auch weiter unangenehme Diskussionen auslösen werde. Denn Merkel weicht nicht vom Weg ab. Verhandlungsspielraum etwa bei der Streichung des Elterngelds für Hartz IV-Familien sehe sie nicht. »Wir wollen die Anreize erhöhen, Arbeit aufzunehmen.« Natürlich riefen die rechtlichen Details zum Sparpaket immer neue Debatten hervor, »das ist doch planmäßig«. Mit dem »Machtwort« als Finale? Auch da bleibt Merkel ganz souverän: »Die Gestaltungsmacht, die mir gegeben ist, spiegelt sich natürlich in jedem meiner Worte wider.«

»Baustellen«der Koalition

TOM/ENERGIE: Längere Laufzeiten der Atommeiler von bis zu 15 Jahren sollen bis Herbst mit dem Energiekonzept geklärt sein. Strittig ist auch die Einbeziehung des Bundesrats.


STEUERN: Weitere Steuersenkungen wurden vertagt. Die reduzierten Mehrwertsteuersätze sollen im Herbst auf den Prüfstand.

GEMEINDEFINANZEN: Es gibt Differenzen über die Zukunft der Gewerbesteuer. Bis Mitte Oktober sollen Lösungen für stabilere Finanzen und Steuereinnahmen der Kommunen auf dem Tisch liegen.

BILDUNG: Bund und Länder haben sich zwar auf einen Qualitätspakt für eine bessere Lehre verständigt. Dem Länderwunsch nach einem höheren Anteil vom Mehrwertsteueraufkommen erteilte der Bund bis 2013 eine Absage. Ein höheres Bafög ist vorerst weiter offen.

BUNDESWEHR: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg legt Vorschläge für die wohl tiefgreifendste Reform vor. Die Truppe soll deutlich verkleinert werden, möglicherweise wird die Wehrpflicht ausgesetzt oder abgeschafft.

VORRATSDATENSPEICHERUNG: Das Bundesverfassungsgericht hat die massenhafte Speicherung von Internet- und Telefondaten ohne Anlass gekippt. Sollen Ermittler solche Daten nutzen können, muss ein neues Gesetz her. Differenzen gibt es auch beim Thema Internetsperren.

ARBEITNEHMERDATEN: Nach den Datenschutzskandalen bei Lidl und der Deutschen Bahn sollen Arbeitnehmerrechte verbessert werden. Der Bundesdatenschutztbeauftragte kritisiert den Referentenentwurf als eine Verschlechterung des Status quo.

SICHERUNGSVERWAHRUNG: Die Sicherungsverwahrung – als besonders gefährlich geltende Menschen bleiben auch nach Verbüßung der Haftstrafe eingesperrt – soll reformiert werden. Eckpunkte stoßen in der Union auf Kritik.

Auf den Weg gebracht, aber noch nicht beschlossen

GESUNDHEIT: Nach den bisherigen Eckpunkten soll 2011 der Beitragssatz in der Gesetzlichen Krankenversicherung von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen. Künftige weitere Mehrausgaben für Ärzte, Kliniken und Arzneimittel sollen vor allem Versicherte über Zusatzbeiträge zahlen.

HAUSHALT: Anfang Juni beschloss das Kabinett ein Sparpaket, das den Bund bis 2014 um 82 Milliarden Euro entlasten soll. Viele Details sind offen. In der Kritik vor allem die Kürzungen bei Hartz-IV-Beziehern.

BANKENABGABE: Banken sollen eine Zwangsabgabe in einen Krisenfonds zahlen – jährlich bis zu 1,2 Milliarden Euro. Details sind offen.

BANKENSANIERUNG: Marode Großbanken sollen notfalls zerschlagen werden können. Bankeninsolvenzen sollen vermieden werden und der Staat nicht mehr erpressbar sein, um wichtige Institute mit Steuergeld zu retten.

ANLEGERSCHUTZ: Auf dem »grauen Kapitalmarkt« sollen Anleger mehr geschützt und feindliche Firmen-Übernahmen erschwert werden. dpa/ND

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