Tagtägliche Messerstiche

In Dresden erinnern Plastiken an den Tod von Marwa el Sherbini. Sie wurden bereits beschädigt

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Dresdener Verein Bürger.Courage will den Mord an der jungen Ägypterin Marwa el Sherbini vor einem Jahr im Bewusstsein der Stadt bewahren – und hat Betonmesser in der Stadt aufgestellt. Inzwischen wurden zwei der Plastiken beschädigt.

Kunst will provozieren. Kunstprojekte, wie sie der Dresdner Verein Bürger.Courage seit fünf Jahren ersinnt, wollen das erst recht. Insofern ist Vereinschef Christian Demuth über die Meldung nicht nur erschrocken, dass zwei Betonmesser, die der Verein an öffentlichen Plätzen in Dresden aufgestellt hat, teils zum wiederholten Male beschädigt wurden. »Die Stiche«, sagt er, »haben wohl gesessen.«

»18 Stiche« nennt sich das Projekt, bei dem 18 weiße Messer aus Beton aufgestellt werden sollten – zum Beispiel vor der Semperoper, in der Prager Straße, aber auch an der Technischen Universität und im Plattenbauviertel Prohlis. Mit den vom Künstler Johannes Köhler entworfenen, hüfthohen Plastiken soll an ein schreckliches Ereignis am 1. Juli 2009 erinnert werden: den im Landgericht verübten Mord an der 31-jährigen, schwangeren Ägypterin Marwa el Sherbini. Sie wurde in einem Beleidigungsprozess vom Angeklagten aus rassistischen Motiven mit 18 Messerstichen niedergestochen.

Politische Neutralität?

Dem Verein geht es jedoch nicht nur darum, an die Bluttat zu erinnern; er will auch auf alltägliche Beleidigungen, Einschüchterungen und Provokationen hinweisen, denen Ausländer ausgesetzt sind – »kleine tagtägliche Messerstiche«, wie Demuth formuliert.

Zudem will der Verein die Verwaltung drängen, ihr nach dem Mord verstärktes Engagement in Ausländerfragen nicht wieder erlahmen zu lassen. Beim Integrationskonzept gebe es nur langsame Fortschritte, und Beratungsangebote seien nicht gesichert, kritisiert der Verein. Die Behörden hätten die Aktion unterstützt und 14 der vorgesehenen 18 Aufstellungsorte rasch genehmigt, sagt Demuth; lediglich an vier Orten, darunter dem Landtag, dürfen die Betonmesser nicht aufgestellt werden – vor dem Parlament, vermutet er, aus Gründen der politischen Neutralität. Hilfe habe es auch von anderer Seite gegeben: Eine Firma gießt die Betonteile, ohne dem Verein eine Rechnung zu stellen; eine Spedition hilft bei der Aufstellung.

Mancher in der Stadt nimmt an der Aktion jedoch offenkundig Anstoß: Zwei der Messer, die nicht fest im Boden verankert sind, wurden umgestoßen und beschädigt, eines bereits zum zweiten Mal. Zudem wurde die festgeschraubte Informationstafel entfernt: »Da hat sich jemand Mühe gegeben«, sagt der Vereinschef, der über mögliche Täter nur spekulieren kann. Allerdings erregte die Aktion unter anderem auch Aufmerksamkeit auf dem rechten Internetportal »altermedia«. Ob die Zerstörung auf das Konto Rechtsextremer geht, ist aber offen; die Polizei ermittelt.

Erbitterte Gegner

Dass Bürger.Courage gerade in rechtsextremen Kreisen erbitterte Gegner haben dürfte, ist zu vermuten; schließlich hat sich der Verein gegründet, um mit unkonventionellen Aktionen vor allem auf rechtsextreme Umtriebe, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit aufmerksam zu machen. Die Projekte sorgten immer wieder für Wirbel und rege Berichterstattung, etwa als am Rande eines der großen Nazi-Aufmärsche anlässlich der Zerstörung Dresdens 1945 Gedichte bekannter Lyriker zu diesem Thema auf die Elbe projiziert wurden, um einen »Gegenpol zu dumpfen Nazi-Parolen« zu setzen. Bei anderen Projekten wurden die Namen der Opfer rechter Gewalt auf weiße Tücher geschrieben, die an der Elbe aufgespannt wurden. Oder es wurden Werke, die der Bücherverbrennung der Nazis zum Opfer gefallen sind, im Großen Garten ausgelegt. Der Verein wurde für seine Projekte wiederholt ausgezeichnet, so mit dem Preis »Aktiv für Demokratie und Toleranz« 2008.

Das jüngste Projekt wird ungeachtet der Beschädigungen fortgesetzt: Am Montag werden die letzten der 14 genehmigten Messer aufgestellt; zudem wurde die Aktion bis zum 15. August verlängert.

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