Krankenkassen unter Kartellrecht
Unternehmensstatus bringt gesetzliche Versicherung in Konflikt mit sozialstaatlichem Auftrag
Es war nur eine kleine Meldung, die gestern vom »Handelsblatt« in Umlauf gebracht worden war, aber sie könnte große Konsequenzen haben: »Es ist wichtig, den Gesundheitsmarkt stärker für den Wettbewerb zu öffnen«, hatte Kartellamtspräsident Andreas Mundt gefordert. »Davon würden die gesetzlichen Kassen und die Versicherten profitieren.« Das sieht aber nicht jeder Betrachter so.
Derzeit sind die gesetzlichen Krankenkassen Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie unterliegen der Selbstverwaltung und sind damit beauftragt, die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu organisieren. Eine Krankenkasse zieht Beiträge ein und regelt ihren Haushalt eigenverantwortlich, wobei sie keine Rücklagen anhäufen und keine Schulden machen darf. Allerdings darf sie auch nicht anbieten, was sie will. Sie ist per Gesetz zu bestimmten Leistungen verpflichtet, enthalten in einem für alle Kassen geltenden Katalog. Darüber hinaus darf sie Spezialangebote machen, zum Beispiel die homöopathische Therapie. Die Kassen stehen unter Aufsicht des Bundesversicherungsamtes, fachlich ist das Bundesgesundheitsministerium zuständig, juristisch Sozialgerichte.
Schon lange haben Christdemokraten und Liberale, aber auch Sozialdemokraten und nicht zuletzt Grüne den Einzug privatwirtschaftlicher Elemente in die gesetzliche Krankenversicherung befürwortet oder zugelassen. Vor einigen Jahren war das Insolvenzrecht für die Krankenkassen ausgeweitet worden, Rabattverträge der Kassen wurden ermöglicht, Wahlleistungen, Bonusprogramme und Zusatzbeiträge eingeführt. Die Kassen als Unternehmen zu betrachten und sie unter Kartellrecht zu stellen, ist ein erklärtes Ziel der jetzigen Koalition. In einem Patientenbrief des Pharmaherstellers GlaxoSmithKline heißt es: »Im Endstadium Marktwirtschaft sind die gesetzlichen Kassen privatisiert und konkurrieren mit privaten Anbietern um Preis und Leistung.«
Harald Weinberg von der LINKEN-Fraktion im Bundestag sieht diese Entwicklung mit großen Bedenken. Er verweist darauf, dass Kartellrecht und Sozialrecht ein-ander ausschließen. So würden Kassen im jetzigen Rechtsstatus dem Kooperationsangebot unterliegen, das ihnen nach dem Kartellrecht als verbotene Preisabsprache ausgelegt werden könnte, denn da seien sie dem Wettbewerbsverbot verpflichtet. Weinberg sieht im Vorstoß, die Krankenkassen dem Kartellrecht unterzuordnen, die Öffnung eines weiteren Einfallstores für marktwirtschaftliche Elemente.
Der GKV-Spitzenverband hat noch keine Meinung zu dieser Entwicklung, denn die Kassen beurteilen den Vorschlag durchaus unterschiedlich, wie eine Sprecherin sagt. Von den Innungskrankenkassen kam bereits die Zustimmung für mehr Wettbewerbsrecht in den Kassen – allerdings forderte IKK-Geschäftsführer Rolf Stuppardt für alle gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen Ausnahmeregelungen. Kommentar Seite 4
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